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„Our Country’s Call to Service“
Ethnologie entstammt und sich ursprünglich auf ein mentales oder emotionales Handicap
bezieht ; dabei bezeichnet der Begriff „Reeducation“ hier einen Vorgang , bei dem ein Pa-
tient etwas noch einmal beziehungsweise neu lernt , oder
– anders ausgedrückt
– „learning
material that has been forgotten“.697
Der aus der therapeutischen Anwendungspraxis gegenüber einzelnen Individuen über-
nommene Begriff wurde jetzt auf die Gesamtheit der „mentally ill Germans“ bezogen , de-
ren komplettes ‚Mind-Set‘ einer profunden demokratischen Umorientierung unterzogen
werden sollte. Dabei nahm man fallweise auch explizit auf Äußerungen Lord Vansittarts
und Anthony Edens Bezug :
“ ‘Germans have made five wars in the last 75 years besides four near misses’ , as Lord Vansit-
tart said and Mr. Eden repeated several times. Vansittart concludes that ‘a complete change
of mind , heart and soul ( of Germany ), of taste and temperament and habit [ … ] a new , a
brand new way of looking at life’698 is necessary. But it would probably be impossible to
change all German habits. Social psychology must find out which of them are relevant for
aggression.”699
Die freilich keineswegs unproblematische700 Diagnose eines „German character“ – ein
höchst fragwürdiges , problematisches Konstrukt – wird , zwar in abgeschwächter Form ,
aber auch bei der emigrierten österreichischen Sozialpsychologin Charlotte Bühler aus-
gesprochen : „The Nazis represent only a particulary distorted form of the potentialities
of thought and action which are general German qualities. The special Nazi mentality is
only a distorted outgrowth of quite general trends in German reasoning and feeling“;701
so existiere nach Bühler zum Beispiel ein neurotischer Perfektionismus ( im Gegensatz
697 Bungenstab , Umerziehung zur Demokratie ? , a. a. O., 1
698 Lord R. G. Vansittart , Black Record , London 1941 , 15.
699 Fritz Schreier , German Aggressiveness – its Reasons and Types. In : The Journal of the Abnormal and Social
Psychology , 38. Jg., 1943 , 213.
700 Zu wissenschaftlicher Vorsicht und nötiger Selbstkritik in der Analyse kollektiver Vorurteile und sozial-
psychologischer Formen eines „unconscious nationalism“ mahnte in diesem Zusammenhang der ebenfalls
aus Österreich emigrierte Kollege Bühlers , der bedeutende Sozialpsychologe Gustav Ichheiser ( 1897–
1969 ): „The writer is himself a Jew. It is his scientific conviction that if one wishes to analyze certain
group-prejudices , he must first of all rid himself and see through the prejudices of the group to which he
himself , by origin , belongs. It makes no sense , as often happens , to ‚unmask‘ the ideologies and mytho-
logies of the ‚others‘ and at the same time to remain blind to the ideology and mythology of one’s own
group.“ Gustav Ichheiser , Some Psychological Obstacles to an Understanding Between the Nations. In :
The Journal of the Abnormal and Social Psychology , 36. Jg., 1941 , No. 3 , 429.
701 Charlotte Bühler , Why do Germans so Easily Forfeit their Freedom ? In : The Journal of the Abnormal and
Social Psychology , 38. Jg., 1943 , 153.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741