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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
of peace and the preservation of the principles in which this Government believes is of
course a matter of serious concern to the Government of the United States.“769 In einer
öffentlichen Stellungnahme am 19. März 1938 gegenüber dem letzten akkreditierten öster-
reichischen Gesandten in Washington , Edgar L. G. Prochnik , hatte das State Department
allerdings lapidar mitgeteilt , dass „appropriate consideration was being given to the ‚tech-
nical steps‘ on the part of the Government of the United States necessitated by the changed
status of the Austrian Republic.“770 Obwohl damit nicht die Rechtmäßigkeit der Anne-
xion anerkannt wurde , kam dies doch einer de facto Anerkennung des Status quo gleich.
Da es offenkundig auch unter den Beamten des State Department anhaltende Unklarheit
bezüglich der offiziellen Sprachregelung zur Eingliederung Österreichs in das Deutsche
Reich gab ,771 bemühte sich der stellvertretende Unterstaatssekretär Adolf A. Berle in einer
öffentlichen Stellungnahme im Juni 1939 um Klärung , wobei seine Worte kaum hilfreich
gewesen sein dürften : „The Government of the United States has accepted that Austria has
ceased to exist as an independent sovereign state and that Germany is administering the
territory of the former Republic Austria.“772
Die indifferente Haltung der USA gegenüber der Annexion Österreichs begann sich
erst im Gefolge der unmittelbar auf den Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowa-
kei und in Polen erfolgten Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs am 3. Sep-
tember 1939 allmählich zu ändern. Spätestens die prononcierte Aussage des britischen Pre-
miers Winston Churchill in einer Rede am 9. November 1940 im Mansion House , in der
er betont hatte , Großbritannien habe auch für Österreich sein Schwert gezogen ,773 mach-
te nun eine Revision der bisherigen pragmatisch-abstinenten Haltung der US-Politik in
Europa – schon allein aus moralisch-weltanschaulichen Gründen – geradezu notwendig.
Immerhin hatte Churchill in seiner Rede klargestellt , dass die Souveränität aller „overrun
countries“ wiederhergestellt würde , schließlich : „The people of Britain [ … ] will never de-
sert the cause of the freedom of Austria from the Prussian joke“.774 Vor dem Hintergrund
der Aussagen Churchills entschied das britische Kriegsministerium , die „Unabhängigkeit
Österreichs“, nicht zuletzt auch aus Gründen psychologischer Kriegsführung , künftig als
Einigungsvokabel zu propagieren : „[ … ] the British War Office , in the prosecution of psy-
769 Zit. nach : ebd., 20.
770 Wright , Attitude of the United States towards Austria , New York , a. a. O., 97.
771 Vgl. The Austrians. Foreign Politics in the United States. Foreign Nationalities Branch. Office of the Co-
ordinator of Information , August 1942 , a. a. O., 2.
772 Assistant Under-Secretary of State Adolf A. Berle to Burleigh and Beckworth , 7. Juni 1939. NARA II ,
RG 59 , Numerical Files 863.01 / 628. Zit. nach : Keyserlingk , Austria in World War II , a. a. O., 21.
773 „All the countries with whome or for whome we draw the sword – Austria , Czecho-Slovakia , Poland ,
Norway , Holland , Belgium , France , Greece [ … ] our victory will supply the liberation of them all.“ Win-
ston Churchill , Mansion House , London , 9. November 1941. Zit. nach : Wright , Attitude of the United
States towards Austria , New York , a. a. O., 106.
774 Zit. nach : Keyserlingk , Austria in World War II , a. a. O., 19.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741