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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
Nicht uninteressant sind schließlich noch die Ausführungen zum Hochschulwesen , die ,
trotz kritischer politischer Analyse der jüngeren schmerzvollen Entwicklungen , einen par-
teipolitisch besonnen-pragmatischen Weg vorzeichneten. So wurde festgestellt , dass die
Hochschulen vom Beginn der Ersten Republik an „Hauptstützpunkte der Reaktion“ gewe-
sen seien , der Lehrkörper „auf Austrofaschismus und Nazismus mit der gleichen Servilität“
reagiert hätte und der wissenschaftliche Nachwuchs in der NS-Zeit „rassisch , weltanschau-
lich und politisch besonders sorgfältig gesiebt worden“ sei , mithin also „ausserordentliche
Sorgfalt bei ihrer [ der Hochschulen , d. Verf. ] Umgestaltung notwendig“836 wäre. Im Hin-
blick auf die Anstellung von Universitätslehrern und die Zulassung von Hörern kamen die
Autoren zu folgendem Schluss : „Sobald im Lehrkörper und in der Hörerschaft ein zuver-
lässiger Kern sichergestellt ist , können auch solche früheren Lehrer und Hörer wieder zu-
gelassen werden , von denen nicht mehr als volle politische Neutralität zu erwarten ist , wenn
sachliche Gründe für ihre Zulassung“837 vorliegen. Die Erwachsenenbildung , der nach
Kriegsende weitaus größere Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten als in der Vergan-
genheit , sollte sich nach Kriegsende insbesondere der „Umschulung der heimkehrenden
Soldaten“, der „Vermittlung historischer und soziologischer [ … ] Bildung“ sowie der „För-
derung des Studiums von Fremdsprachen im Dienst der Völkerverständigung“838 widmen.
Bezeichnenderweise richtete sich die nachfolgende Diskussion in der „Austrian Labor
Information“ primär auf schulische Sachfragen , wie auf die im „Sofortprogramm“ anschei-
nend zu wenig deutlich hervorgehobene Bedeutung der Koedukation – immerhin wäre
diese ja in Amerika „an den meisten Schulen Selbstverständlichkeit“839
– oder auf Unklar-
heiten bezüglich des geplanten Überganges zur Einheitsschule beziehungsweise auf die
Darstellung der Leistungen der Glöckelschen Schulreform.840 Wie aus einem letzten Ar-
tikel hervorgeht , der im kritischen Rekurs auf die „Vaterländische Erziehung“ des Austro-
faschismus eine erste Skizze einer „Staatsbürgerlichen Erziehung“ für die neue Republik
zeichnete
– eine konkordanzpolitische Doktrin , die mit dem 1949 von Unterrichtsminister
Hurdes herausgegebenen Ministerialerlass zur „Staatsbürgerlichen Erziehung“ schließlich
das gesellschaftliche Konfliktpotenzial der jüngeren Vergangenheit durch eine großkoa-
litionäre Tabuisierungspolitik entschärfte841 –, fühlten sich die sozialistischen Lehrer vor
836 Ebd., 14.
837 Ebd.
838 Ebd., 15.
839 Robert Plank / Nuschi Plank , Das oesterreichische Erziehungsprogramm. In : Austrian Labor Information ,
No. 25 , 1. Mai 1944 , 8.
840 Carl Furtmüller , Progressive Education in the Austrian Republic. In : Austrian Labor Information , No. 23 ,
12. November 1943 , 11 f.
841 Vgl. dazu : Stephan Ganglbauer / Christian H. Stifter / Robert Streibel , Kein Ort des Verdrängens. Die
Auseinandersetzung mit Austrofaschismus und Nationalsozialismus an Wiener Volkshochschulen. In :
Jahrbuch 2011. Schwerpunkt : Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen. Hrsg. vom Doku-
mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Redaktion : Christine Schindler , Wien 2010 , 165 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741