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2. „Education for Victory“
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Zum vollständigen Takeover der US-Armee im Bereich der „Civil Affairs“-Planungen
kam es durch den weiteren Kriegsverlauf und die Konkretisierung der „Overlord“-Inva-
sionspläne Ende 1943. Unter dem Generalkommando von General Eisenhower richtete
General Hilldring im Dezember in Shrivenham bei London ( später in Manchester ) ein
„Civil Affairs Center“ für rund 1. 000 Offiziere ein ; aus diesem wurde unter anderem auch
die SHAEF-„German Country Unit“ ( GCU ) gebildet ,944 in der eine kleine „Education
and Religious Affairs Subsection“ unter gemeinsamer britisch-amerikanischer Expertise
existierte , deren Leitung John Taylor , George Geyer und Marshall Knappen für die USA ,
sowie Donald Charles Riddy und Herbert Walker für Großbritannien innehatten.945
Die intensivierte Tätigkeit innerhalb des amerikanisch-britischen „Combined Civil Af-
fairs Committees“ ( CCAC ) führte , nach der bisher wenig effizienten alliierten Besatzungs-
planung , umgehend zu ersten militärischen Direktiven für Standard-Verfahrensweisen des
zivilen Aufbaues in den besetzten Gebieten. Damit übernahmen nun die Militärs , vom
SHAEF-Oberbefehlshaber Eisenhower top down bis zu den Besatzungsoffizieren im jewei-
ligen Einsatzgebiet , die vollständige Veranwortung für den gesamten Bereich der Militärver-
waltung , inklusive aller damit verknüpften Angelegenheiten ziviler Kontrollmaßnahmen.946
Die Kooperation zwischen dem War Department , der Civil Affairs Division ( CAD )
und dem State Department , das vom strategischen Entscheidungsprozess weitgehend aus-
geschlossen blieb und lediglich die im engeren Sinne politischen Agenden supervidierte ,
verlief mit Fortdauer des Krieges und der bevorstehenden Invasion in der Normandie –
zumindest dem Wortlaut offizieller Dokumente nach – weitgehend ohne größere Frik-
tionen.947 In kontroversiellen Fragen oder bei sich abzeichnendem Widerspruch seitens
der zivilen Beamten gegenüber den Militärs schaltete sich Präsident Roosevelt mehrmals
höchstpersönlich ein , um die Verantwortlichen des State Department zum Gleichschritt
aufzurufen ( „to keep in the linings of their hats“ )948
– so beispielsweise im Zusammenhang
mit Detailfragen rund um die für die EAC revidierte Fassung des JCS 1067.949
944 Ziemke , The U. S. Army in the Occupation of Germany 1944–1946 , a. a. O., 80 f.
945 James Tent , Education and Religious Affairs Branch , OMGUS und die Entwicklung amerikanischer Bil-
dungspolitik 1944 bis 1949. In : Heinemann ( Hrsg. ), Umerziehung und Wiederaufbau , a. a. O., 68.
946 Ebd., 33.
947 Für das vergleichsweise reibungslose Agieren zwischen CAD , dem State Department , der US-Botschaft
in London und der EAC dürfte wohl auch das besonders gute Verhältnis zwischen General Hilldring –
dem späteren Assistant Secretary of State for Occupied Areas [ ! ] – und James C. Dunn vom Office of
European Affairs und dessen Mitarbeitern verantwortlich gewesen sein , deren Korrespondenz in einem
ausnehmend freundlichen , zuweilen geradezu amikalen Ton gehalten war. Z. B. „My dear General Hill-
dring [ … ]“. FRUS , Diplomatic Papers , 1944. Vol. 1 , General , Washington 1966 , 207. The Director of the
Office of European Affairs ( James Clement Dunn ) to Director of the Civil Affairs Division of the War
Department ( Hilldring ), Washington D.C., 5. April 1944 , 207.
948 FRUS , 1944 , Vol. 1 , a. a. O., 414. Memorandum by President Roosevelt to the Secretary of State [ Hon.
E. R. Stettinius ] , 4. Dezember 1944.
949 So hatte James Riddleberger vom State Department in einem Memorandum Passagen am Entwurf des JSC
1067 moniert und Veränderungsvorschläge unterbreitet , die der Assistant Secretary of War , John McCloy ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741