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2. „Education for Victory“
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Tatsächlich wurden in der unmittelbaren Nachkriegsphase von der amerikanischen Besat-
zungsmacht nicht bloß Angehörige lokaler Widerstandsgruppen von der Mitarbeit und
Kooperation ausgeschlossen ,1125 sondern darüber hinaus vermochten sich in zahlreichen
Orten Nazis als Beamte im Bereich der Verwaltung oder Exekutive zu halten , die mitunter
sogar polizeilichen Druck ausübten , um die Aussendung von „Fragebogen“ für die NS-
Registrierung zu verhindern.1126
Als besonders krasse Folge der „unpolitischen“ US-Militärverwaltung in der unmittel-
baren Nachkriegsphase kann die Bestellung von „Hofrat“ Adolf Eigl1127 zum oberösterrei-
chischen Landeshauptmann durch Oberst Russel A. Snook beziehungsweise Major John
D. Hartigan am 16. Mai 1945 gelten :1128 die von Eigl gebildete „Beamtenregierung“1129 be-
1125 So steht in dem zitierten OSS-Bericht diesbezüglich zu lesen : „The manner in which American autho-
rities have rejected the offer of already established resistance groups to cooperate with the present Pro-
vincial Government in carrying out a de-Nazification program does not give much encouragement to
democratic anti-Nazi Austrians to trust in the sincerity of American intentions.“ Des Weiteren : „A
common complaint , met almost everywhere , was that Nazis apprehended by resistance elements were
forthwith released by the Americans.“ Paul R. Sweet / Edgar N. Johnson ( OSS ), The Formation of the
Present Unpolitical Provincial Government , 2. August 1945. Zit. nach : Rathkolb ( Hrsg. ), Gesellschaft
und Politik am Beginn der Zweiten Republik , a. a. O., 230 bzw. 231.
1126 Vgl. Rathkolb ( Hrsg. ), Gesellschaft und Politik am Beginn der Zweiten Republik , a. a. O., 235.
1127 Der promovierte Jurist Adolf Eigl ( 1883–1958 ), der als NSDAP-Mitglied geführt wurde , hatte nach
dem „Anschluss“ als Verwaltungsbeamter Karriere gemacht und wurde , gefördert von Gauleiter Eigruber ,
zum kommissarischen Regierungsdirektor der Landeshauptmannschaft bestellt. Siehe : Walter Schuster ,
Politische Restauration und Entnazifizierungspolitik in Oberösterreich. In : Walter Schuster / Wolfgang
Weber ( Hrsg. ), Entnazifizierung im regionalen Vergleich , Linz 2004 , 168.
1128 Schreiben von Oberst Snook an „Herr Hofrat and Gentlemen“, 15. Mai 1945. Hoover Institution Archi-
ves , Stanford University , John Doane Hartigan Papers , 1909–1958 , Box 7 : Military reports and career
of John Doane Hartigan. 235. Unter Hinweis darauf , dass die Alliierten Mächte dafür gekämpft hätten ,
„to destroy tyranny , oppression and despotic rule“, ernannte Snook Eigl zum Landeshauptmann : „Herr
Hofrat , you will be appointed Landeshauptmann and in that position you will have authority to select
and direct your staff and perform in accordance with our approval the duties of your high and important
office.“ Zit. nach : ebd. 1 f.
1129 Laut einer rezenten , tendenziell exkulpatorischen Darstellung bei Cornelia Sulzbacher , die sich dabei
auf Primärquellenmaterial stützt , habe sich Eigl bei der Erstellung der „Beamtenregierung“ ledig-
lich an den unpolitischen , weniger an der „Wiederrichtung demokratischer Strukturen“ interessierten
Verwaltungsvorgaben der US-Militärregierung orientiert , so als hätte Eigl lediglich pflichtgetreu die
Anordnungen der amerikanischen Militärs umgesetzt : „Eigl versuchte im Sinne seines Auftrages ,
eine effektive Verwaltung zu schaffen , weshalb er Verwaltungsfachleute berief und der Frage ehe-
maliger NSDAP-Mitgliedschaften wenig Aufmerksamkeit schenkte. Die sogenannte ‚Beamtenregie-
rung‘ umfasste daher einige Nationalsozialisten. Zudem repräsentierte sie nicht das politische Spek-
trum Oberösterreichs und war in allen Entscheidungen von der Militärregierung [ bis Mitte Juni 1945 ,
d. Verf. ] abhängig.“ Cornelia Sulzbacher , Adolf Eigl – Landeshauptmann von Oberösterreich. In :
Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs , 22. Bd., Linz 2011 , 332.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741