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2. „Education for Victory“
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seiner Antwort , die um Kalmierung bemüht war , Einblick in die interne Situation , die
sich auch ihm als keineswegs unproblematisch darstellte. Einerseits bemühte sich Hen-
drickson , ohne die Vorgänge zu verteidigen , darzulegen , dass es für die Militärregierung ,
die ja im Übrigen bereits über Besatzungserfahrung im ehemals faschistischen Italien ver-
fügte , unumgänglich wäre , auch und insbesondere auf Personen zurückzugreifen , die über
entsprechende fachliche Qualifikation verfügten ; tatsächlich befand sich Hartigan damit
nicht völlig abseits von der Generallinie der Entnazifizierungspolitik der US-Militärs im
Beamtenbereich : Säuberungen sollten nach „freiem Ermessen“ und je nach Verwendbar-
keit durchgeführt werden , wobei allerdings , und das verdient hervorgehoben zu werden ,
explizit alle nationalsozialistischen Reichsstatthalter , Landräte , Bürgermeister und NS-
DAP-Mitglieder vor dem 12. März 1938 ausgenommen waren.1135 Nach Auffassung Hen-
dricksons könne es des Weiteren nicht darum gehen , durch ad hoc Relegierungen ohne je-
des rechtliche Verfahren nach der Methode „Out-Nazi the Nazi“ zu verfahren.1136 Dessen
ungeachtet seien aber im vorliegenden Fall Fehler passiert , indem zum Beispiel Vertreter
des CIC , trotz der Einladung , Material bei einem Hearing vorzulegen , einfach nicht er-
schienen seien ( „they did not even choose to appear“ ),1137 sodass die Verantwortlichen in
Oberösterreich erst mit Verspätung Kenntnis über vorliegendes Belastungsmaterial gehabt
hätten. Abschließend teilte Hendrickson Mrs. Reid eine kulturhistorisch eingeleitete Be-
obachtung mit , die ein interessantes Licht darauf wirft , wie manch leitende US-Offiziere
die „komplexe“ Situation vor Ort zu entschuldigen versuchten – im vorliegenden Fall er-
gänzt um einen Ausbildungsvorschlag für künftige Curricula im Rahmen der Offiziersaus-
bildung der US-Armee :
“[ … ] take this opportunity to make an observation which I think all Americans should know
in respect to the occupation of Austria in particular and to all enemy [ sic ] nations generally. It
is a rule as old as civilization itself and that , namely , that people cannot be governed with any
good or lasting effect by any authority , be it military or otherwise , which does not allow for
simple justice in all things , handbooks , orders and directives to the contrary not-with-standing.
It is my sincere hope that our Service Academy ( West Point and Annapolis ) in the future
will incorporate in their curriculum for those who are to lead our Army and Navy of the fu-
1135 So heißt es im Wortlaut eines „Public Safety Manual for Austria“ in Bezug auf „Discretionary Removal“:
„The removal of all other Civilian Servants or officials is discretionary [ … ]. If it appears that the Civil
Servant or Official joined the NSDAP merely to retain his employment and not because of strong belief
in its principles , and does not hold any of the party ranks described in para.192 , there should be no strong
objection to his retention.“ NARA II , RG 260 , Dir. Office , USCA , Box 20. Public Safety Manual for
Austria , Section VI , Security and Denazification , 5.
1136 Robert C. Hendrickson to Mrs. Ogden Reid , New York , 15. Juli 1945 , 1. Hoover Institution Archives ,
Stanford University , John Doane Hartigan Papers , 1909–1958 , Box 7 : Military reports and career of
John Doane Hartigan.
1137 Ebd., 3.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741