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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Unter den interviewten Gefangenen befanden sich zwei Österreicher beziehungsweise
zwei Personen , die unter anderem auch an den österreichischen Universitäten Graz , Inns-
bruck und Wien studiert hatten. Einer der beiden Österreicher1228 – ein Feldwebel und
promovierter Mineraloge katholischer Gesinnung – war der einzige Interviewte , der als
Zeuge als eher wenig zuverlässig eingeschätzte wurde.1229
Hingegen wurden die Aussagen des 38-jährigen Oberstleutnants Friedrich August
Freiherr von der Heydte , der in Wien und Innsbruck Jurisprudenz und Ökonomie stu-
diert und in Graz 1932 zum Dr. juris promoviert hatte , als verlässlich eingeschätzt : seine
Aussagen wurden in einem der beiden Appendizes zusammengefasst. Heydte , ein anglo-
philer , katholischer „man of culture and high intelligence“ und „determined anti-nazi“,1230
war laut Bericht 1932 kurzfristig enthusiastischer Nazi gewesen , habe sich dann jedoch
strikt gegen den Nationalsozialismus gestellt.1231 In den Jahren zwischen 1932–1935 war
Heydte Universitätsassistent bei den Professoren Kelsen ,1232 Verdross und Hugelmann
versität Wien , als „ardent Nazi“ eingeschätzt , von Srbik hingegen – da sein wissenschaftliches Werk
nie durch den Geist der Zeit beinflusst gewesen sei – als „suitable to take part in the reconstruction of
German [ sic ] academic life“ betrachtet wurde. NARA II , RG 260 , OMGUS ECR , Box 28. PW Paper
99 , CSDIC ( UK ), „German Universities under National-Socialism“, [ 28. Mai 1945 ] , xxxvii. Zur Vita
von Fritz Knoll siehe : Klaus Taschwer , Die zwei Karrieren des Fritz Knoll. Wie ein Botaniker nach 1938
die Interessen der NSDAP wahrnahm – und das nach 1945 erfolgreich vergessen machte. In : Johannes
Feichtinger / Herbert Matis / Stefan Sienell / Heidemarie Uhl ( Hrsg. ), Die Akademie der Wissenschaf-
ten in Wien 1938–1945 , Wien 2013 , 47–54.
1228 Der zweite Österreicher , der Sanitätsgefreite E. PW M / A 1587 ] , der als „intelligent and co-operative
anti-Nazi“ und als „reliable“ eingeschätzt wurde , hatte ab 1941 an der Universität Wien Medizin stu-
diert und war dann am 29. Jänner 1944 von der Deutschen Wehrmacht dessertiert. NARA II , RG 260 ,
OMGUS ECR , Box 28. PW Paper 99 , CSDIC ( UK ), „German Universities under National-Socialism“,
[ 28. Mai 1945 ] , ii.
1229 „He is now definitively anti-Nazi. He remains , however , a ‚good German‘ , who feels that his oath to the
FÜHRER has some binding force.“ [ Versalien im Original , d. Verf. ] Feldwebel H. [ PW DZ / 135369 ]
hatte nach Beendigung des Studiums von 1934–1938 als Beamter der Salzburger Elektrizitätsbetriebe
gearbeitet und nach dem „Anschluss“ die Stelle eines mineralogischen Assistenten an der Universität
Breslau angenommen. H., ein gläubiger Katholik ( „devout Catholic“ ) war der NSDAP beigetreten , um
seine Anstellung nicht zu verlieren , habe jedoch , so die biografische Angabe im Geheim-Dossier , zu
Anfang klare Sympathien für den Nationalsozialismus gehabt. NARA II , RG 260 , OMGUS ECR , Box
28. PW Paper 99 , CSDIC ( UK ), „German Universities under National-Socialism“, [ 28. Mai 1945 ] , iv.
1230 Ebd., ii.
1231 1935 hatte Heydte ( 1907–1994 ) aufgrund der nationalsozialistischen Durchdringung des Universitäts-
systems angeblich seine akademische Karriere aufgegeben und wäre in die deutsche Reichswehr ein-
getreten , um der NS-Ideologie zu entgehen. 1942 befand sich Heydte unter den Mitverschwörern des
Stauffenberg-Attentats am 20. Juli auf Hitler. NARA II , RG 260 , OMGUS ECR , Box 28. PW Paper
99 , CSDIC ( UK ), „German Universities under National-Socialism“, [ 28. Mai 1945 ] , ii.
1232 1932 war Heydte seinem Lehrer Hans Kelsen als Privatassistent nach Köln gefolgt , wurde nach dessen
Entlassung ein Jahr später von Kelsens Nachfolger Carl Schmitt nicht übernommen. Heydte ging zurück
nach Wien , wo er durch Alfred Verdross eine Assistentenstelle an der Konsularakademie erhielt. Siehe :
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741