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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Interessant ist in diesem Zusammenhang , dass die US-Militärbehörden in Öster-
reich die bereits beschriebenen „Mandatory Removal and Exclusion Categories“, jene für
die US-Besatzungszone gültigen Arrestierungs- und Enthebungslisten , in etwas abge-
schwächter Form bis Herbst 1945 aufrechterhielten und darin dezidiert auch die Enthe-
bung beziehungsweise den Ausschluss ( aus dem politischen Leben ) für „Austro-Faschis-
ten“ verfügten.
Obwohl die für Österreich spezifizierten Bestimmungen der von SHAEF analog zur
JCS-Direktive No. 1065 ausgearbeiteten „Automatic Arrest List“ letztlich entscheidend
abgeschwächt wurden – in der ursprünglichen Fassung wären unter anderem auch „die
Angehörigen der Justiz bis zum Landesgerichtspräsidenten“ ab Stichtag 1. September
1933 davon betroffen gewesen1243 –, blieben analog zur „Standard Operating Procedure for
Denazification“ der USFA-Headquarters vom 3. August 1945 im Hinblick auf ehemalige
Funktionäre des austrofaschistischen Regimes bis Herbst 1945 formal doch einige zentrale
Bestimmungen aufrecht , die bei konsequenter Durchführung nicht wenigen Führungsper-
sonen der ÖVP ein politisches Amt verschlossen und damit die personelle Basis der ÖVP
auf Dauer entscheidend geschwächt hätten :
“All persons who took an active and prominent part in the undemocratic measures of the pre-
Nazi Fascist regime or in any of its paramilitary organization such as Heimwehren and the
ostmaerkische Sturmscharen will be removed and excluded from the positions enumerated in
paragraph 2 above.”1244
Im Vorfeld der ersten Nationalratswahlen führten diese Bestimmungen in den US-Entna-
zifizierungsrichtlinien zu einer Kontroverse innerhalb der ÖVP , weil sich die Salzburger
Landespartei zunächst gegen die Bundespartei stellte und deren Zahlenangaben über bisher
erfolgte Enthebungen von „Austro-Faschisten“1245 in der amerikanischen Besatzungszone
in Salzburg gegenüber der amerikanischen Besatzungsmacht stark nach unten korrigierte ;
laut amerikanischen Quellen schwenkte die Landespartei erst nach einiger Überzeugungs-
arbeit ein und war dann bereit , sich an den kommenden Nationalrats- und Landtagswahlen
1243 Vgl. dazu : Rathkolb , US-Entnazifizierung in Österreich , a. a. O., 303.
1244 John G. Erhardt , „Transmitting letter from Under Secretary for Foreign Affairs , Dr. Gruber , regarding
American Policy on Austro-Fascism“, 24. Oktober 1945 , a. a. O., 2.
1245 In Salzburg war es de facto die US-Besatzungsmacht gewesen , die im Mai 1945 Richard Hildmann
( 1882–1952 ) als Bürgermeister von Salzburg installierte. Die Einsetzung Hildmanns , der von 1935 bis
1938 austrofaschistischer Bürgermeister von Salzburg gewesen war , stieß nicht nur auf heftige Kritik von
Sozialdemokraten und Kommunisten ; auch der amerikanische OSS hielt in einem Lagebericht fest : „Hild-
man[ n ] should be removed if it is US policy to avoid Dol[ l ]fuss and Schuschnigg men in office.“ Um daran
anschließend gleich entscheidend abzuschwächen : „However , men like Hildman[ n ] in office are a less im-
portant matter than Nazis in office.“ Edgar N. Johnson [ OSS ] , Telegram from Salzburg , 9. Juni 1945. Zit.
nach : Rathkolb ( Hrsg. ), Gesellschaft und Politik am Beginn der Zweiten Republik , a. a. O., 251.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741