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4. „The democratic way of life in Austria“
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im November zu beteiligen.1246 Das von August Trummer geleitete Landesparteisekretariat
der ÖVP war am 31. Mai 1945 in das „Generalsekretariat West“ umgewandelt worden , das die
Opposition der westlichen und südlichen Bundesländer gegen die als schwach angesehene
ÖVP-Parteiführung in Wien koordinierte ; unter dem provisorischen Tiroler Landeshaupt-
mann Karl Gruber als Sprecher zog das „Generalsekretariat West“ in einem Forderungspro-
gramm vom 23. September 1945 sogar die mögliche Trennung von Wien ins Kalkül.1247
In einem Schreiben an den amerikanischen Gesandten in Österreich , John G. Erhardt ,
brachte Unterstaatssekretär Karl Gruber diese für die ÖVP höchst unangenehmen politi-
schen Säuberungsbestimmungen
– die von SPÖ und KPÖ freilich massiv unterstützt wur-
den1248
– ausführlich zur Sprache und ging dabei gleich in die wahlkämpferische Offensive.
Zunächst verwies Gruber auf über 300 Fälle , in denen ÖVP-nahe Personen in der US-Zone
in Salzburg auf Grund ihrer Aktivitäten in den Jahren 1933–1938 enthoben worden wären
–
eine Zahl , die von Salzburg aus gegenüber dem US-Hauptquartier allerdings auf lediglich
sechs bis sieben Fälle – bei ihnen soll es sich um Angehörige der Heimwehr beziehungs-
weise der Ostmärkischen Sturmscharen gehandelt haben – nach unten korrigiert wurde.
Dessen ungeachtet rechnete Gruber , der unter den von ihm genannten 300 Fällen auch
Personen ausmachte , die „mehr als sieben Jahre in Konzentrationslagern verbracht“ hätten ,
Erhardt vor , dass die politischen Säuberungsbestimmungen , umgerechnet auf die gesamte
österreichische Bevölkerung , in Summe rund 6. 000 Personen betreffen würden , „among
them in many cases leadership material of the Volkspartei“. Und weiter im Wortlaut :
“Aside from this computation of numbers it must also be remarked that such measures against
persons who have spent many years in Nazi concentration camps , would evoke bitterness in
them , and such bitterness can easily have repercussions on wider circles. It is , therefore , not
impossible that the inclination to abstain from voting may increase strongly , particularly with
the strata who would vote for the Volkspartei. [ … ] If , however , the political leadership of the
peasants and the middle class in Austria is to be paralyzed in this manner , then a one-sided
party regime can hardly be avoided.”1249
1246 Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954 ( Mi-
krofilm-Bestand Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 1 , John G. Er-
hardt , Office of the Political Officer / USFA , „Transmitting letter from Under Secretary for Foreign Af-
fairs , Dr. Gruber , regarding American Policy on Austro-Fascism“, 24. Oktober 1945 , 2.
1247 Vgl. Robert Kriechbaumer , Salzburg 1945–1955 : Politische Entwicklungslinien. In : Hans Bayr / Robert
Kriechbaumer , Salzburg 1945–1955. Zerstörung und Wiederaufbau. Begleitbuch zur Ausstellung des
Salzburger Museums Carolino Augusteum in Zusammenarbeit mit dem Verein „Salzburger Wehrge-
schichtliches Museum“, Salzburg 1995 , 85 f.
1248 Vgl. Kriechbaumer , Salzburg 1945–1955 , a. a. O., 87 f.
1249 Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954 ( Mi-
krofilm-Bestand Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 1 , John G. Er-
hardt , Office of the Political Officer / USFA , Letter from Dr. Gruber dated October 22 , 1945 , 2.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741