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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
In seiner sichtlich um eine rasche Aufhebung der US-Enthebungsbestimmungen gegen-
über „Austro-Faschisten“ bemühten Argumentation sparte Gruber nicht mit teils unter-
griffiger Kritik gegenüber Kommunisten und Sozialisten : so würden erstere unter dem
Begriff „Faschist“ gerne alles subsumieren , was nicht Mitglied der Kommunistischen Par-
tei sei , und bezüglich der SPÖ sei , so Gruber , hinlänglich bekannt , dass diese selbst einen
radikalen Flügel ( gehabt ) habe. Hier empfahl Gruber Erhardt kurzerhand die Lektüre der
sozialdemokratischen Zeitschrift Der Kampf sowie des Linzer Parteiprogrammes von 1926 ,
wobei er aus beiden Quellen längere Textpassagen als Beleg für die unversöhnliche , klas-
senkämpferische Haltung der Sozialdemokratie zitierte. Darüber hinaus legte Gruber in
diesem Zusammenhang dar – freilich ohne jede Zusammenhang mit den politischen Ge-
schehnissen der Ersten Republik
–, dass die Sozialdemokratie mit dem Republikanischen
Schutzbund selbst eigene , „hochbewaffnete militärische Formationen“1250 gehabt habe.
Besonders verquer wurde Grubers Bemühen , den Austrofaschismus-Passus in den US-
Säuberungsdirektiven als demokratiepolitisch geradezu sinnwidrig darzustellen , als er die
‚katholischen‘ Ostmärkischen Sturmscharen als Gegengewicht zur Heimwehr charakte-
risierte , deren Aufgabe es gewesen sei , die Heimwehr so rasch wie möglich zu überneh-
men : außerdem strich er deren quasi ‚zivilen‘ Charakter hervor , indem er die Heimwehr
selbst als aus überaus heterogenen Elementen wie lokalen Schützenverbänden bestehend
darstellte , deren Obmänner gleichermaßen automatisch Leiter der Heimwehrabteilungen
wurden. Außerdem habe deren Hauptaufgabe , so Gruber weiter , geradezu in einer Schutz-
funktion gegenüber der kommunistischen Gefahr bestanden :
“But the purpose was not the establishment of a fascist dictatorship but protection against the
dangers of a Communist revolution – at the time when in Hungary , Bavaria and Upper Italy
Communist attempts at dictatorship were occurring.”1251
Inwieweit nun Grubers Einwände , die taktisch gezielt die Gefahr einer politischen Stär-
kung der Kommunisten
– „definite strengthening of influence of certain parties in Austrian
politics“ – an die Wand malten , tatsächlich direkten Einfluss auf die Säuberungsdirekti-
ven der amerikanischen Besatzungsmacht nahmen , muss an dieser Stelle nicht zuletzt auf
Grund fehlender Quellen dahingestellt bleiben.1252 Tatsache ist hingegen , dass die ehe-
1250 Ebd.
1251 Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954 ( Mi-
krofilm-Bestand Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 1 , John G. Er-
hardt , Office of the Political Officer / USFA , „Transmitting letter from Under Secretary for Foreign Af-
fairs , Dr. Gruber , regarding American Policy on Austro-Fascism“, a. a. O., 2.
1252 Erwähnenswert ist , dass sich Gruber in dem zitierten Schreiben an US-Gesandten Erhardt insbesondere
auch gegen die Durchführung der politischen „Säuberung“ seitens der Staatspolizei in Wien wandte ,
deren Leiter ( Heinrich Dürmayer ) von den US-Militärbehörden den Befehl erhalten habe , Listen ehe-
maliger Heimwehr-Angehöriger zu erstellen. Demgegenüber schien Erhardt keinerlei Einwände gegen
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741