Page - 293 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Image of the Page - 293 -
Text of the Page - 293 -
293
Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
hen Schulen“ in der Zwischenkriegszeit zunehmend zu einem Hort der Reaktion und des
aggressiv auftretenden Nationalsozialismus. Antisemitische Krawalle , „völkische“ Über-
fallskommandos mit Schlagstöcken , Spießrutenläufe für jüdische Studenten , blutige Prü-
geleien zunächst mit Heimwehr- und immer öfter auch mit Nazistudenten sowie Haken-
kreuz-Schmierereien begannen den studentischen Alltag zu dominieren.1255 Zusätzlich
verschlimmert wurde diese Situation durch den Beschluss des akademischen Senates , nur
die „Deutsche Studentenschaft“ ( d. i. die Koalition der völkischen Studenten mit dem an-
tisemitischen CV ) als Vertretung zu den Hochschulwahlen zuzulassen : „Nicht-Arier“ oder
Sozialdemokraten waren ausgeschlossen.1256 Nach dem Sieg der Nationalsozialisten an der
Universität Graz bereits im Jahr 1930 erzielten die nationalsozialistischen Studenten 1931
auch bei den Hochschülerschaftswahlen an der Universität Wien , an der Universität für
Bodenkultur und an der Technischen Hochschule in Wien die Mandatsmehrheit ,1257 was
1896 war jüdischen Studierenden von „wehrhaften“ Studentenverbindungen die Satisfaktionsfähig-
keit und Ehre abgesprochen worden
– erlebte der Rassensantisemitismus im Gefolge der als „Slawisie-
rungspolitik“ denunzierten Sprachenverordnungen Minister Badenis einen ersten Höhepunkt , indem ,
wie Oliver Rathkolb hervorhob , die Universität durch antislawische und antijüdische Demonstrati-
onen erstmals „auch physisch in Geiselhaft“ genommen , somit politischer Druck ausgeübt wurde.
Vgl. Oliver Rathkolb , Gewalt und Antisemitismus an der Universität Wien seit der Badeni-Krise.
Vortrag bei der Tagung : „Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen
mit der Geschichte der Universität Wien im 19. Jahrhundert“, Universitätsarchiv Wien , 11. Oktober
2012. Für die Möglichkeit zur Einsichtnahme in das unveröffentlichte Vortragsmanuskript danke ich
an dieser Stelle Herrn Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb. Zur biologistischen Instrumentalisierung
ostjüdischer Studierender an der Universität Wien im Zusammenhang wissenschaftlichen Konkur-
renzkampfes siehe die umfangreiche Studie : Felicitas Seebacher , Das Fremde im „deutschen“ Tempel
der Wissenschaften. Brüche in der Wissenschaftskultur der Medizinischen Fakultät der Universität
Wien (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Naturwissenschaften , Mathematik
und Medizin ), Wien 2011. Allgemein siehe : Robert S. Wistrich , Die Juden Wiens im Zeitalter Franz
Josephs (= Anton-Gindely-Reihe zur Geschichte der Donaumonarchie und Mitteleuropa 4 ), Wien –
Köln – Weimar 1999 , 302.
1255 Nachdem sich Engelbert Dollfuß als Gründungsmitglied der „Deutschen Studentenschaft“ bereits 1920
öffentlich für einen akademischen Arier-Paragrafen ausgesprochen hatte , verfasste die „Deutsche Stu-
dentenschaft“ 1925 eine Denkschrift , die gegen „sittliche Orientalisierung und rassische[ r ] Judaisierung“
auf Boden der Universität wetterte ; das Dokument wurde auch von Leopold Figl als damaligem Leiter
der studentischen katholischen Minderheitsfraktion mitunterzeichnet. Vgl. Kurt Bauer , Lueger und die
Lausbuben. In : Die Presse , 27. April 2012.
1256 Vgl. Wolfgang Speiser , Die sozialistischen Studenten Wiens 1927–1938 (= Materialien zur Geschichte
der Arbeiterbewegung , Nr. 40 ), Wien 1986 , 57 f. De facto gab es , wie Hartmann eigens hervorhebt , kei-
nen Arier-Paragraph im CV , es wurden , wie er meint , ab 1918 „lediglich“ Studenten „deutsch-arischer“
Abstammung „bevorzugt“ aufgenommen. Siehe : Gerhard Hartmann , Der CV in Österreich. Seine Ent-
stehung
– seine Geschichte
– seine Bedeutung (= Schriftenreihe der Bildungsakademie des ÖCV , Bd. 4 ),
4. überarb. Aufl., Kevelaer 2011 , 123 f.
1257 Vgl. Gerhard Wagner , Von der Hochschülerschaft Österreichs zur Österreichischen Hochschülerschaft.
Kontinuitäten und Brüche , Dipl.-Arb., Univ. Wien 2010 , 80.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741