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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
stützt wurden.1263 NS-Terrorakte wie Sprengstoff- und Bombenanschlagserien in ganz Ös-
terreich , schwere Straßenschlachten zwischen Heimwehr und NS-Studenten in Innsbruck
oder gewalttätige Ausschreitungen an der Universität Wien führten schließlich am 19. Juni
1933 zum Verbot der NSDAP , was insbesondere an der Hochschule für Bodenkultur in
Wien zu weiteren Unruhen durch den Deutschen Studentenbund führte.1264 Infolge dieser
Ausschreitungen existierte im Hauptgebäude der Universität Wien seit 1933 eine proviso-
rische Polizeistation , die ein Jahr später in ein „ständiges Wachzimmer umgewandelt“1265
wurde – neben den Prügeleien gehörten von nun an Legitimationszwang sowie allfälli-
ge Leibesvisitationen zum studentischen Alltag. Flankierend zur polizeilichen Kontrolle
wurde per Verordnung des Unterrichtsministeriums mit 3. Mai 1934 Ministerialrat Otto
Skrbensky1266 nach den nationalsozialistischen Unruhen an der Wiener Hochschule für
Bodenkultur ( BOKU ) als Regierungskommissär an der BOKU „im Interesse einer not-
wendigen Beschleunigung der Geschäftsführung“ eingesetzt , womit ihm Rektor Emanuel
H. Vogel sowie das Professorenkollegium ab sofort unterstellt waren.1267
mitica“ ( 15.–16. Juni 12012 ) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Ich danke
an dieser Stelle Herrn Dr. Klaus Taschwer für die freundliche Einsichtnahme in seine Vortragsunter-
lagen. Vgl. dazu weiters : Ders., Die Vernunft wurde schon früher vertrieben. Auf : http://science.orf.at/
stories/1700034/. Zur „Deutschen Gemeinschaft“ und deren „Abwehrkampf“ gegen das „Ungeradetum“
( „Ugtum“ ), also gegen alle marxistischen , liberalen , jüdischen und freimaurerischen Einflüsse siehe :
Wolfgang Rosar , Deutsche Gemeinschaft. Seyß-Inquart und der Anschluß , Wien – Frankfurt – Zürich
1971 , 30 ff.
1263 Bauer , Kalkulierte Eskalation , a. a. O., 8.
1264 Paulus Ebner , Politik und Hochschule. Die Hochschule für Bodenkultur 1914–1955 (= Forschungen zur
Wiener Stadtgeschichte , Bd. 37 ), Wien 2002 , 74 f.
1265 Vgl. ebd., 87. Siehe dazu auch den Artikel von : Manfried Welan , Hans Karl Zeßner-Spitzenberg
– Jurist
und professor an der Hochschule für Bodenkultur [ http://www.austria-lexikon.at/Af/AEIOU/Zessner-
Spitzenberg ,%20Hans%20Karl%20von ; Zugriff 22. 6. 2012 ]
1266 ( Baron ) Otto Skrbensky ( 1887–1952 ) stammte sowohl väterlicher- ( Freiherr von Skrbensky-Hrzistie ) als
auch mütterlicherseits ( Tochter des Reichsgrafen von Kuenburg ) aus einer altösterreichisch-adeligen Fa-
milie , die nach dem ererbten Gut Skrebeny ( Kirwein ) bei Olmütz ihren Namen führte. Nach dem Studium
der Jurisprudenz wurde Skrbensky in der Ersten Republik zum Bezirkshauptmann ernannt und wechselte
1922 ins Unterrichtsministerium. Am 16. März 1938 schwor Skrbensky den „Diensteid“ auf Adolf Hitler ,
wurde dann aber am 29. November 1938 von Seyß-Inquart mit Dreiviertel des Ruhegenusses in den Ruhe-
stand versetzt. Trotzdem war er nach 1938 Mitglied im NS-Rechtswahrerbund. Nach der Befreiung Öster-
reichs übernahm Skrbensky , der seit März 1944 als Kanzleikraft bei der Union der Journalisten-Verbände
und zudem als „Einkäufer , Hausverwalter , Aufseher und Kontrollor“ gearbeitet hatte , bereits am 19. April
1945 die Angestelltensammelstelle des vormaligen Bundesministeriums für Unterricht. Am 29. August
1945 wurde Skrbensky durch den politischen Kabinettsrat zum Sektionschef des Staatsamtes für Volks-
aufklärung , Unterricht und Erziehungs- und Kultusangelegenheiten ernannt , wo er sogleich die Leitung
der Hochschulsektion übernahm. ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , Personalakt Otto Skrbensky , Antrag
Unterrichtsministers Kolb „auf Dank und Anerkennung des Bundespräsidenten anläßlich des Übertrittes
in den dauernden Ruhestand mit 31. Dezember 1952“ für Sektionschef Skrbensky , 24. 9. 1952.
1267 Ebner , Politik und Hochschule , a. a. O., 82 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741