Page - 311 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
bei Kriegsende vom Mitarbeiterstab des Allgemeinen Krankenhauses zu dessen Direktor
nominiert. Schönbauer ist , wie Ingrid Arias schreibt , als „routinierter Opportunist“ zu
charakterisieren. Obwohl er , wie Arias weiter ausführt , „nur Parteianwärter“ gewesen sei ,
war er „in allen maßgeblichen Universitätsgremien“ und hatte 1943 immerhin das „Treue-
zeichen der NSDAP verliehen“1324 bekommen.
Die an der Medizinischen Fakultät besonders zögerlich durchgeführte Entnazifizie-
rung1325 hatte wohl auch damit zu tun , dass den medizinischen Kliniken auf Grund des
Beschlusses des Politischen Kabinetts vom August 1945 „eine große wissenschaftliche und
wirtschaftliche Bedeutung zugesprochen wurde“,1326 wonach das Verbotsgesetz nur mehr
auf jene angewendet werden sollte , „welche sich durch unmenschliche Praxis und lebens-
bedrohende Versuche am lebenden Leib als untragbar erwiesen haben.“1327
Nach dem Wortlaut eines OSS-Entnazifizierungsberichtes scheint Schönbauer , der nach
1945 qua Ausnahmeparagraph zum Verbotsgesetz vom Bundespräsidenten – nach meh-
reren Anläufen von Vizekanzler Adolf Schärf1328 – pardoniert worden war ,1329 seit 1940
NSDAP-Mitglied und außerdem „nach 1938 Eigentümer eines vor 1938 im jüdischen Be-
sitz gestandenen Hauses“1330 gewesen zu sein. Nach der „entlastenden“ Aussage seiner bei-
1324 Ingrid Arias , Die Medizinische Fakultät von 1945 bis 1955 : Provinzialisierung oder Anschluss an die
westliche Wissenschaft ? In : Grandner / Heiß / Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten , a. a. O., 76 ; zur
Situation der Entnazifizierung an der Medizinischen Fakultät allgemein siehe ; Michael Hubenstorf ,
Medizinische Fakultät 1938–1945. In : Gernot Heiß / Siegfried Mattl ( Hrsg. ), Willfährige Wissenschaft.
Die Universität Wien 1938–1945 , Wien 1989 , 233–282.
1325 Die von Arias verglichenen Personalstandsverzeichnisse 1949–1951 mit den Listen vor 1944 dokumentie-
ren ein hohes Maß an personeller Kontinuität : von 24 Medizinprofessoren nach 1945 waren 14 schon in
den Jahren 1940–1944 verzeichnet , von 109 Privatdozenten galt dies für ganze 63. Rund 57 % des gesam-
ten wissenschaftlichen Personals der medizinischen Fakultät war sowohl während der NS-Zeit als auch
danach tätig. Siehe dazu : Ingrid Arias , Entnazifizierung an der Wiener Medizinischen Fakultät : Bruch
oder Kontinuität ? Das Beispiel des Anatomischen Instituts. In : Zeitgeschichte , 31. Jg., 2004 , Heft 6 , 347.
1326 Arias , Entnazifizierung an der Wiener Medizinischen Fakultät , a. a. O., 359.
1327 Beschluss des Politischen Kabinetts vom 10. August 1945 , 5Z.104–1945 / 194 , 6 , UAW , Dekanatsakten
der Medizinischen Fakultät. Zit. nach : Arias , Entnazifizierung an der Wiener Medizinischen Fakultät ,
a. a. O., 359.
1328 Schärf teilte im Dezember 1945 dem Dekan der medizinischen Fakultät , Leopold Arzt , mit : „Bei der
Schaffung des Verbotsgesetzes habe ich im Kabinettsrat auf jene Tatsache [ der Widerstandshandlung ]
hingewiesen und damit begründet , dass man den Ausnahmeparagraph des Verbotsgesetzes schaffen soll ,
der , wie ich dann höre , in der Folge der Besprechungen den Namen Schönbauer-Paragraph erhalten hat.
Es war im Kabinettsrat einhellig die Meinung , dass man solche Fälle pardonieren soll.“ Zit. nach : Neu-
gebauer / Schwarz , Der Wille zum aufrechten Gang , a. a. O., 51.
1329 Ebd., 71. Von 1959–1962 war Schönbauer Abgeordneter zum Nationalrat für die ÖVP. Ebd., 77.
1330 Entnazifizierung der Lehrkräfte der Universität Wien ( G.-Zl. 32141 / III–7 / 46 ). Enthalten in : Ap-
pendix „A“, Report of Quadripartite Sub-Committee on Denazification in Austrian Universities , 7th
September 1946. NARA II , RG 260 , Box 11 , Folder 68 , Records of the Unites States Occupation Head-
quarters , World War II , USFA / USACA , Internal Affairs / Displaced Persons Division , Denazification
Branch , General Records , 1945–50 , 1.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741