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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Nach den Briten wurden im November 1945 schließlich auch noch die französische Besat-
zungsbehörden bei Adamovich vorstellig und verlangten die Aushändigung einer Übersicht
über den Lehrkörper der Universität.1352 Zu direkten Interventionen der Alliierten Mächte
kam es aber , wie sich auch in den Protokollen des Alliierten Rates dokumentiert findet , infol-
ge mangelnder Einigkeit der Besatzungsmächte beziehungsweise auf Grund des Prärogativs
divergierender machtpolitischer Strategien
– wie zu zeigen sein wird
– weder zu diesem Zeit-
punkt noch später. Ohne den zitierten Besprechungsprotokollen mehr Relevanz zugestehen
zu wollen , als diesen als Einzelbildaufnahmen zusteht , stellen diese aber nicht nur bemer-
kenswerte Dokumente aus der Frühphase des informiert-uninformierten Laissez-faire der
lokalen US-Reorientierungs-Politik im universitär-wissenschaftlichen Bereich dar , sondern
darüber hinaus ein erstes Indiz für eine in der Folge konsequent durchgezogene , nicht-inter-
ventionistische Position , die von Anbeginn durch eine respektvoll-kooperative Zusammenar-
beit und geradezu freundschaftlich-vertraute Arbeitsatmosphäre auf beiden Seiten verstärkt
wurde
– insbesondere im Bereich der Universität , aber auch des Unterrichtsministeriums.
Weitaus mehr besorgt als in Bezug auf Entnazifizierungsfragen zeigten sich die Educa-
tion-Offiziere hinsichtlich zweier anderer Problembereiche : zum einen , wie die über lange
Jahre vom Ausland völlig abgeschnittenen Schulen und höheren Bildungseinrichtungen
über gezielten Austausch von Professoren und Studierenden Anschluss an internationale
beziehungsweise amerikanische Standards finden könnten ; zum anderen war der Stab der
Education Division besorgt über die Art und Weise , wie die amerikanische Besatzungs-
macht , in deren Besatzungszone sich keine Universität und Hochschule befand , die „Cul-
tural and Spiritual Needs of Austria“ missachten würde. Im Unterschied zu den anderen
alliierten Besatzungsmächten , die sich , wie die Franzosen oder Briten , um die Verbreitung
nationaler Landeskultur via Bücher und Tageszeitungen bemühten und eigene Verlage
aufbauten , oder , wie die Sowjets , hohe Summen für den Wiederaufbau der Wiener Oper
flüssig machten , eigene Druckereien einrichteten und darüber hinaus auch Hochschulleh-
rer an die Moskauer Universität einladen würden , hätten sich die USA bis dato primär auf
den administrativen und materiellen Wiederaufbau in Österreich konzentriert. Trotz der
Einrichtung eines ersten US-Informationcenters mit eigenem Leseraum in der Wiener
Kärntnerstraße sowie einigen bereits erfolgten größeren Buch- und Zeitschriftenlieferun-
gen amerikanischer Literatur kritisierten die Reeducation-Offiziere , dass die USA ge-
genüber den anderen Besatzungsmächten langsam ins Hintertreffen geraten würden , und
empfahlen sowohl dem „Political Advisor“ als auch den Abteilungen der Information Ser-
vice Branch ( ISB ) –, alles Erdenkliche zu unternehmen , um amerikanische Kultur in Ös-
terreich zu befördern , zumal dies auch von österreichischer Seite durchaus erwünscht sei :
“It may well be that our nation is not as much interested in the future of Austria as are the Euro-
pean powers of occupation. It may well be that our nation has nothing to ‘sell’ of its democracy
1352 Ebd., 33.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741