Page - 319 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Rundschreiben des Staatsamtes für Volksaufklärung , Unterricht und Erziehung und Kul-
tusangelegenheiten hieß.
Und genau das war , wie sich in vielfacher Weise zeigen sollte , letztlich auch einer der
Knackpunkte : viele dieser „Begründungen“ waren gänzlich unzureichend oder fehlten voll-
ends ; darüber hinaus argumentierten einige Universitäten und Landesschulbehörden , die
bisherige Entnazifizierungspraxis quasi rechtfertigend , dass eine strikte Durchführung der
Säuberungsmaßnahmen zur „völligen Lahmlegung“ des Betriebes führen würde. So wurde
vom Kärntner Landesschulrat beschlossen , den Erlass des Staatsamtes vom 18. August 1945
nicht zur Anwendung zu bringen , da „eine Durchführung desselben mit Rücksicht auf die
politische Struktur des Lehrkörpers in Kärnten einer völligen Lahmlegung des gesamten
Unterrichtsbetriebes gleichzusetzen wäre“.1358
Ungeachtet so mancher regionaler Unterschiede auf Grund der zonalen Aufsplitterung
Österreichs in einzelne Besatzungsbereiche1359 ( und einer weitgehend uneinheitlichen Ju-
dikatur bis Ende 1945 ) sowie lokaler Abneigung gegenüber den politischen ‚Säuberungs-
maßnahmen‘ , waren sowohl das Staatsamt für Volksaufklärung , Unterricht und Erziehung
und Kultusangelegenheiten in Person von Staatssekretär Ernst Fischer ( und seinem Stell-
vertreter Karl Lugmayer ) wie auch danach Felix Hurdes als Unterrichtsminister um eine
möglichst sachlich korrekte und demokratiepolitisch klare Lösung des Problems im Sin-
ne des staatlichen Wiederaufbaues bemüht. Ein Umstand , der wohl weniger mit den je-
weiligen ( partei )politischen Positionen zu tun hatte , als mit der persönlichen Haltung der
handelnden Personen in dieser Frage1360 – in den politischen Parteien lassen sich hinge-
gen ebenso wie bei hohen Beamten des Unterrichtsressorts zum Teil geradezu diametral
aufklärung , für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten „Enthebung aller ehemaligen
Mitglieder ( Anwärter ) der NSDAP und ihrer Wehrverbände vom Dienst“, Wien am 8. August 1945.
1358 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2C1 , Disziplinarkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn. 378 ,
Zl. 16157-IV / Pb / 1946 , Landesschulrat für Kärnten an das Bundesministerium für Unterricht , 21. Mai
1946 , 2. In Oberösterreich , wo der Landesschulrat in Form von „Monthly reports“ den amerikanischen
Militärbehörden penibel über den Stand der Entnazifizierung der Lehrerschaft Bericht zu erstatten hatte ,
standen für den Zeitraum vom 26. Juni bis zum 26. Juli 1946 insgesamt 1496 nicht entlassenen Lehrern in
Summe 299 ( wegen „Illegalität“ ) Entlassene gegenüber. ÖSTA / AdR , Bestand 02 BMfU , 2C1 , Diszipli-
narkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn. 378 , Zl. 26172–46 , Landesschulrat für Oberöster-
reich , Monatsbericht d. Sonderkommission beim Landesschulrat für Oberösterreich , 24. Juli 1946 , 2.
1359 Vgl. dazu den Text des ersten Alliierten Kontrollabkommens über Österreich vom 4. Juli 1945 , abge-
druckt in : Stephan Verosta , Die internationale Stellung Österreichs , Wien 1947 , 65 f.
1360 Ernst Fischer ( 1889–1972 ) – seines Zeichens kommunistischer Wortführer in der „Nazifrage“– re-
spektive die KPÖ als solche hatten sich von Anbeginn gegen eine rein nach formalistischen Prinzipien
vorgehende Registrierung analog zum Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 gewandt , und eine „gerechtere“,
stärker auf individuelle Verantwortung entlang der Differenzierungslinie „Hauptschuldige“ und „Mit-
läufer“ ( „kleine Nazis“ ) ausgelegte ‚Säuberungspraxis‘ präferiert. Vgl. dazu Stumpf , Ernst Fischer als
Staatssekretär für „Volksaufklärung , Unterricht und Erziehung und Kultusangelegenheiten“, a. a. O., 289 ;
weiters : Manfred Mugrauer , Die Politik der Kommunistischen Partei Österreichs in der Provisorischen
Regierung Renner , Dipl.-Arb., Univ. Wien 2004 , 227.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741