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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
der Vorgeschichte und der nachfolgenden Tätigkeit dieses Gremiums jedenfalls wenig
plausibel. Das Gremium tagte ab sofort zweimal wöchentlich und war gegenüber den
Alliierten Besatzungsmächten hinsichtlich Stand und Fortgang der Entnazifizierung be-
richtspflichtig.
Die Arbeit dieses Komitees erfüllte jedoch kaum die Minimalerwartungen , sodass sich
erste Gewitterwolken am Horizont des Alliierten Rates abzeichneten. Hier , wie auch in
allen späteren Fällen , waren es aber vor allem die Sowjets und Franzosen , die zu einer offe-
nen und scharfen Kritik der österreichischen Entnazifizierungspolitik ansetzten und diese
Kritik unter ihrer jeweiligen Vorsitzführung auch deutlich gegenüber den Verantwortli-
chen auf österreichischer Seite artikulierten
– wozu sich die Briten und insbesondere auch
die Amerikaner ( jedenfalls im Alliierten Rat ) kaum durchzuringen vermochten. Lediglich
im Februar 1946 hätten sich – was allerdings nicht aus den Protokollen des Alliierten Ra-
tes hervorgeht – die britischen Besatzungsbehörden im alliierten Entnazifizierungsaus-
schuss über das fehlende Verständnis der Dringlichkeit und den mangelnden Fortschritt
der Entnazifizierung in ihrer Zone überaus enttäuscht gezeigt : in den meisten Fällen be-
schäftigten sich die von österreichischen Stellen gesetzten ‚Säuberungsmaßnahmen‘ näm-
lich mit „Enthaftungen und Wiedereinsetzungen in Ämter“.1400 Und der kommunistische
Kärntner Volkswille lieferte sogleich die „Gründe für die Unzufriedenheit mit den Säube-
rungskommissionen“: „Wir finden bei uns in Kärnten Nationalsozialisten , ja sogar Illegale
und SS-Männer als Bürgermeister , als leitende Beamte in den Stadtverwaltungen und
Bezirkshauptmannschaften [ … ]. Wir können feststellen , daß in einzelnen Gebieten die
Gendarmerie zu 60 bis zu 80 Prozent aus Nationalsozialisten besteht , und daß faktisch das
gesamte öffentliche Leben bei uns in Kärnten heute noch eindeutig von den Nationalso-
zialisten beherrscht wird.“1401
In einem scharfen Statement vor dem Alliierten Rat brachte der sowjetische Oberbe-
fehlshaber General Vladimir V. Kourasov die Problematik offen zur Sprache , indem er die
Entnazifizierung österreichischer Behörden als völlig unzureichend abqualifizierte : insbe-
sondere im Bereich der staatlichen Administration und in der Wirtschaft würden sich nach
wie vor zahlreich Nazis tummeln. Des Weiteren formulierte Kourasov mit sarkastischem
Unterton :
“Those Nazis expelled from one organization are going into others and something in the nature
of a migration of Nazis is going on , but not denazification.”1402 [ Hervorhebung d. Verf. ]
1400 „Britische Kritik an mangelnder Nazisäuberung“. In : Österreichische Volksstimme. Zentralorgan der kommu-
nistischen Partei Österreichs , Nr. 31 , 6. Februar 1946 , 1.
1401 Volkswille , 7. Februar 1946 , 2.
1402 ÖNB , ALCO , Reel 1 of 23 , May 1945–Feb. 1946 , Annex II to ALCO / M( 46 )18 , 18th Meeting of the
Allied Council , Statement by Col. General Kourasov made at the meeting of the Allied Council on 11th
March 1946 , 1.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741