Page - 333 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Einen breiten Raum in den Entnazifizierungsverfahren nahmen laut Bericht der Sonde-
roberkommission
– insbesondere bei Vorliegen von Verdachtsmomenten in Bezug auf die
„Illegalität“
– häufig Erklärungen ein , die diese Verdachtsmomente zu widerlegen versuch-
ten ; jedoch „mit Unrecht“, wie die Richtlinien der Sonderoberkommission strikt heraus-
stellten.1417
Schon im Jänner 1946 hatte sich das Unterrichtsministerium darum bemüht , einem
allzu konzilianten Behandlungsmodus durch die Sonderkommissionen in dieser Fra-
ge zuvorzukommen. Es verwies auf die prinzipielle Zuständigkeit des „Liquidators der
Reichseinrichtungen“1418 in der Beurteilung der „Illegalen“,1419 wonach im Falle der
Annahme der „Illegalität“ das Verfahren von der Sonderkommission „durch Beschluß
endgiltig [ sic ] einzustellen“1420 sei – ein Umstand , der bereits am 18. August 1945 von
Unterstaatssekretär Karl Lugmayer1421 in einem Rundschreiben an die Rektorate der
wissenschaftlichen Hochschulen hervorgehoben worden war , indem „Illegale und ihnen
Gleichgestellte ( § 14 Verbotsgesetz ) [ … ] nicht der Beurteilung durch die Sonderkommis-
sion unterliegen.“1422
Nun hielt auch die Sonderoberkommission im Bundeskanzleramt in dieser Angelegen-
heit unmissverständlich fest , dass sich mit „der Frage der Illegalität der zu beurteilenden
Person [ … ] weder der Spruch noch die Gründe des Erkenntnisses einer Sonderkommissi-
on zu befassen [ haben ]. Die Entscheidung dieser Frage steht einzig und allein der Dienst-
behörde ( Liquidator ) zu.“1423
Große Rechtsunsicherheit bei den Sonderkommissionen I. Instanz herrschte offensicht-
lich auch in der Frage , was zu geschehen habe , wenn eine Person vor Einleitung oder Been-
digung eines Beurteilungsverfahrens stirbt. So wurden , laut dem zitierten Bericht der Son-
1417 Ab Anfang 1946 wurden , nach alliiertem Druck auf die österreichische Bundesregierung , zudem die soge-
nannten „Gauakten“ zur Überprüfung herangezogen.
1418 Bei diesem handelte es sich um den Min. Rat Dr. W. Troll.
1419 Gemäß dem Erlass vom 25. Jänner 1946 ( Zl. 232 / Pr / 46 ). ÖSTA / AdR , Bestand 04 , BKA , Präs. I., Kt.
3 , 232 / Präs. / 1946 1.b. Kopie im Besitz d. Verfassers.
1420 Ebd., 2. Einlageblatt zur Zl. 718 / Präs. / 1946. Kopie im Besitz d. Verfassers.
1421 Dr. Karl Lugmayer ( 1892–1972 ), war Gymnasiallehrer und ab 1923 Volksbildungsreferent für Niederö-
sterreich. 1934 wurde er vom austrofaschistischen Bürgermeister Richard Schmitz zum Volksbildungs-
referenten für Wien bestellt. Nach 1945 war Lugmayer neben Ernst Fischer Unterstaatssekretär im
„Staatsamt für Volksaufklärung , für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten“ und da-
rüber hinaus Ideologe und Programmatiker der ÖVP ( wie zuvor in der Ersten Republik des christlich-
sozialen Lagers ). Vgl. dazu Christian H. Stifter , Geistige Stadterweiterung. Eine kurze Geschichte der
Wiener Volkshochschulen , 1887–2005 , Weitra 2006 , 86.
1422 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2C1 – Disziplinarkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn.
378 , Z. 4115 / III / 4a / 45 , Rundschreiben Unterstaatssekretär Lugmayers an die Rektorate der wissen-
schaftlichen Hochschulen , 18. August 1945 , 1.
1423 ÖSTA / AdR , Bestand 04 , BKA , Sonderoberkommission. Richtlinien für die Sonderkommissionen I.
Instanz , 22. Mai 1946 , 12. Kopie im Besitz d. Verfassers.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741