Page - 337 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Erst nahezu zwei Monate später begann man sich im Unterrichtsministerium – vermut-
lich über Nachfrage übergeordneter Stellen
– für die Vorgänge an der TU zu interessieren ,
und bekam von der TU mitgeteilt , dass von den Beamten des nichtwissenschaftlichen
Personalstandes bisher noch „kein einziger ehemaliger Pg [ Parteigenosse , d. Verf. ] vom
Dienst enthoben worden ist.“ Rektor Duschek vertrat dabei die Auffassung , dass „bei
Enthebung aller Nationalsozialisten der Betrieb der Techn. Hochschule sofort hätte ein-
gestellt werden müssen“, und überhaupt „sei dies einer der typischen Erlässe vom grünen
Tisch , der der Wirklichkeit in keiner Weise Rechnung“ trage. Des Weiteren sei von Sekti-
onschef Skrbensky mündlich die Bewilligung erteilt worden , „die Nationalsozialisten , die
er benötige , weiter im Dienst zu belassen.“1436 In demselben Schreiben wurde dann auch
gleich hochoffiziell die Weiterbelassung von 23 NSDAP-Mitgliedern beziehungsweise
Parteianwärtern – bei diesen Beamten handelte es sich um nichtwissenschaftliches Per-
sonal
– beantragt ; dem Antrag wurde im April 1946 mit dem handschriftlichen Vermerk
stattgegeben , „von einem formellen Weiterbelassungsbescheid [ … ] mit Rücksicht auf die
fortschreitende Tätigkeit der Sonderk. und des langen Zeitraumes seit Sept. 1945 ( wo die
Enthebung durchzuführen bzw. die Weiterbelassung zu beantragen gewesen wäre )“,1437
abzusehen.
Interessant ist dieses an sich kleine Detail nicht zuletzt deshalb , weil am 22. März 1946
eine alliierte Delegation , bestehend aus Mr. Hardy M. Ray , Repräsentant der US-Edu-
cation Division des Alliierten Kontrollrates , und dem französischen Kapitän Espiau de
Lamaestre von der französischen Unterrichtsabteilung , „unangemeldet“ im Unterrichts-
ministerium am Minoritenplatz erschien und dort die Ausfolgung der Akten der Son-
derkommission für jene Professoren der Technischen Hochschule in Wien verlangte , die
als „tragbar“ erklärt wurden und die nun durch das Entnazifizierungsbüro der Alliierten
Kommission einer „eingehenderen Prüfung“1438 unterzogen werden sollten ;1439 über das
Ergebnis geht aus den Akten leider nichts hervor.
1436 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2C1 – Disziplinarkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn.
378 , R. Zl. 785 / 45 , Enthebung der Parteimitglieder vom Dienste , 25. Februar 1946 , 2. Kopie im Besitz
des Verfassers.
1437 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2C1 – Disziplinarkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn.
378 , Zl. 1125 / Präs. 46 , Bundesministerium für Unterricht an die Technische Hochschule in Wien , Wei-
terbelassung von Parteimitgliedern im Dienst , 12. April 1946 , 2.
1438 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2C1 – Disziplinarkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn.
378 , GZ. 8850-III / 6–1946 , Staatsamt für Volksaufklärung [ Unterrichtsministerium ] an das Bundeskanz-
leramt , Alliierte Kontrollkommission , Einsichtnahme in die Sonderkommissionsakten für die Profes-
soren der Technischen Hochschule in Wien , 22. März 1946.
1439 Die Durchsicht der Protokolle des Alliierten Rats sowie die des alliierten Exekutivkomitees zeigt , dass
dieses Ereignis aber nicht auf der Agenda des obersten interalliierten Kontrollgremiums stand. Die Pro-
tokolle des ALCO und EXCO sind allerdings weder vollständig ( lesbar ), noch enthalten sie die Bespre-
chungen bspw. des „Quadripartite Denazification Bureaus“ und schon gar nicht die des „Quadripartite
Denazification Bureaus“.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741