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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
beanstandete das Memorandum der „League“, dass in bisherigen Einladungsschreiben an
EmigrantInnen von österreichischer Seite „keinerlei Details über Arbeits- und Lebensbe-
dingungen enthalten“1565 waren.
Tatsächlich hatte die Hochschulsektion des Unterrichtsministeriums unter Leitung
von Skrbensky , wie dieser in einem Schreiben an den Leiter der US-Education Divisi-
on Thomas E. Benner1566 im Juli 1946 mitteilte , erwartet , dass sich die vertriebenen Pro-
fessoren „nach der sicherlich auch im Auslande bekannt gewordenen Wiederherstellung
der österreichischen Hochschulordnung von selbst melden und für die Wiederaufnah-
me ihrer durch die Nazi unterbrochenen Lehrtätigkeit in Österreich interessieren würden.
[ … ] Anscheinend erwartet die Mehrzahl der in Frage kommenden Wissenschaftler eine
förmliche Einladung unsererseits“.1567 Von sich aus waren die zuständigen Behörden be-
ziehungsweise die verantwortlichen Ministerialbeamten , die die League verächtlich als
„Emigrantenregierung“1568 bezeichneten , weder unmittelbar nach Ende der NS-Barbarei
noch in den darauf folgenden Jahren daran interessiert , vertriebenen WissenschafterInnen
entgegenzukommen , ihnen aktiv Berufungsangebote zu unterbreiten oder gar Entschädi-
gungen anzubieten.1569
Die Namensliste verschwand in ministerialen Schubladen und blieb letztlich Makula-
tur – trotz einzelner erfolgreicher anderweitiger Interventionen bei zuständigen amerika-
nischen Militärstellen und beim Department of State ,1570 immerhin war ja der erste Leiter
1565 Fleck , Österreichs Universitäten am Beginn der Zweiten Republik , a. a. O., 7.
1566 Dieser war Ende Juni 1946 auf Oberst Featherstone nachgefolgt.
1567 ÖSTA / AdR , Bestand 02 BmfU , Zl. 22. 824 / 47. Hier zitiert nach : Christian Fleck , Rückkehr uner-
wünscht. Der Weg der österreichischen Sozialforschung ins Exil. In : Vertriebene Vernunft. Bd. I. Emi-
gration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940 ( Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-
Institutes f. Geschichte der Gesellschaftswissenschaften , Sonderband 2 ), Wien – München 1987 , 202 f.
1568 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BmfU , Zl. 26742 / 46. Zit. nach : Fleck , Österreichs Universitäten am Beginn
der Zweiten Republik , a. a. O., 7.
1569 Vgl. dazu auch : Christian Fleck , Verbliebene Unvernunft. In : heureka ! , 2 , 1998.
1570 So versuchte beispielweise der Vizepräsident der „Austrian University League of America“, Ernest P.
Pick , der davon ausging , dass „the Provisional Austrian Government does not yet know the facts sta-
ted“, über Einschaltung des State Department und des War Department November 1945 die Enthe-
bung zweier belasteter Universitätsangehöriger , nämlich Dr. Georg Stettner und Dr. Gerhard Kirsch ,
zu erreichen , indem er den US-Behörden eidesstattliche Erklärungen zukommen ließ , die bezeugten ,
dass es sich in beiden Fällen um aktive Mitglieder der NSDAP handelte. In Stellvertretung des Se-
cretary of State bedankte sich James W. Riddleberger als Chief der „Division of Central European
Affairs“ im State Department für die Information und antwortete Pick , dass er die Hinweise an die
zuständigen US-Stellen für Österreich weiterleiten werde : „I am sure they will be given consideration.“
Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954
( Mikrofilm-Bestand Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 1 , James
W. Riddleberger an Ernest P. Pick , Vice President , Austrian University League of America , 7 No-
vember 1945 , 1. Auf Basis des neugefassten Nationalsozialistengesetzes 1947 wurde die Enthebung
von Kirsch im Juli des Jahres aufgehoben und ihm die zurückgelegte Dienstzeit zwischen 1938 und
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741