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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Othmar Spann und Reinhold Lorenz ,1590 die m. E. eingesperrt gehörten , früher wieder im
Amt und Würden sein werden , als etwa ich auch nur habilitiert“1591
– immerhin hatte Winter
bereits im Jahr 1929 versucht , sich im Fach Soziologie an der Universität Wien zu habilitieren.
Nach Winters eigenen Angaben , die Holzbauer anhand des originalen Habilitationsak-
tes1592 im Detail verifiziert hat , scheiterte er mit diesem Vorhaben trotz Unterstützung von
Kardinal Piffl und seinem Lehrer Hans Kelsen an seinem universitären und politischen
Gegenspieler Othmar Spann , der seit 1. Mai 1933 illegales NSDAP-Mitglied war.1593 Trotz
mehrfacher Bemühungen und Anläufe wurde das Habilitationsgesuch des kompromisslo-
sen „Anschluss“-Gegners1594 vom deutschnational dominierten Fakultätskollegium verzö-
gert , ignoriert und letztlich verhindert. Im amerikanischen Exil in New York nahm Winter
in seinem an den amerikanischen militärischen Geheimdienst Office of Strategic Services
( OSS ) adressierten Lebenslauf , worin er sich als Experte für die Geschichte und Psycho-
logie des Deutschen Nationalismus sowie als Kulturhistoriker zur Mitarbeit empfahl , zur
Verhinderung seiner Habilitation an der Universität Wien folgendermaßen Stellung :
“After I received my Doctors’s degree , I intended to become ‘Privatdozent’ at the Juridical Fac-
ulty of the University of Vienna , but was checked in my hopes by the ruling group of professors
1590 Tatsächlich erfolgte bereits im Dezember 1945 eine Unterschriftenaktion für die Wiedereinsetzung
Reinhold Lorenz’. Vgl. Volkstimme , 15. Dezember 1945 , 2.
1591 Österreicher im Exil. USA 1938–1945 , a. a. O., 727.
1592 Durch Zufall hat der Habilitationsakt der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät den Bomben-
treffer des juridischen Dekanats überdauert , da , wie Holzbauer anführt , dieser noch im März 1938 von
Unterrichtsminister Oswald Menghin in der Zeit des zweitägigen Kabinetts unter Arthur Seyß-Inquart
angefordert und dem Unterrichtsministerium übergeben worden sei. Von hier gelangte der Akt offenbar
in die Hände Winters , der im US-amerikanischen Exil bereits über die Unterlagen verfügte , die darin
enthaltene Information interessanterweise aber weder gegenüber amerikanischen noch gegenüber öster-
reichischen Stellen ausspielte. Dies , obwohl Winter in einem 1942 verfassten Lebenslauf , den er auch an
das Department schickte , darauf hinwies : „By some strange coincidence I was able to procure from the
disbanding Austrian Ministry of Education after March 1938 the entire file of official documents con-
cerning my application and its refusal , which still is in my hand.“ Siehe : Ernst Karl Winter , Curriculum
Vitae , beigelegt einem Schreiben an James Riddleberger , Department of State , Washington D.C. vom
5. März 1945. DÖW 21. 011 / 11 , 1. Der Akt befindet sich heute laut Holzbauer im Familienarchiv im
schweizerischen Sargans. Vgl. Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 162.
1593 Vgl. dazu Gertraud Resele , Othmar Spanns Ständestaatkonzeption und politisches Wirken , Dipl.-Arb.,
Univ. Wien 2001 , 786 ff. ; weiters : John Haag , Othmar Spann. 1878–1950. In : Research Guide to Euro-
pean Historical Biography. Vol. 8 , Washington D.C. 1993 , 4651–4662 ; Klaus-Jörg Siegfried , Universa-
lismus und Faschismus. Das Gesellschaftsbild Othmar Spanns , Wien 1974 , 152 f.
1594 Sowohl mit dem Programm des von ihm 1930 gegründeten und geführten Gsur-Verlages , den von Win-
ter ab 1933 herausgegebenen Wiener Politischen Blättern , dem publizistischen ‚Organ‘ der „Österreichi-
schen Aktion“ als auch mit den politischen Integrationsbemühungen der „Aktion Winter“ hatte sich
Winter öffentlich als strikter und vehementer Gegner von „Anschluss“-Denken und Nationalsozialismus
deklariert. Vgl. Holzbauer , Ernst Karl Winter und die Legitimisten , a. a. O., 43 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741