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4. „The democratic way of life in Austria“
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In einem weiteren Interims-Schreiben wurde Kelsen von der Reorientation Branch
( CAD ) von dieser insgesamt eher unerquicklichen Situation in Kenntnis gesetzt.
Im April 1948 schrieb Alfred Verdross an Kelsen , das Professorenkollegium der juridi-
schen Fakultät habe auf An regung des in London befindlichen Friedrich Hayek be-
schlossen , ihn ( sowie Eric Voegelin ) im Rahmen eines Vortragszyklus’ von National-
ökonomen zur Abhaltung von Vor lesun gen einzuladen. Diese Vorlesungen sollten im Juli
1948 an der Universität Wien stattfinden , wobei die Aufenthaltskosten für einen dreiwö-
chigen Aufenthalt durch einen „hiesigen Fonds gedeckt“ seien , nicht jedoch die Reisekos-
ten , die von der Rockefeller-Stiftung übernommen werden sollten.1720
De facto
– und das ist das eigentlich Unglaubliche an der ganzen Angelegenheit
– kam
von den zuständigen USFA-Stellen , das heißt von der Education Division beziehungs-
weise der Information Service Branch
– bis Juli 1948 keine weitere Nachricht in der Causa
Kelsen , sodass Captain Batson die Akte mit den Worten schloss :
“Since reply has not been received from USFA , it is assumed USFA is not interested in his ser-
vices. NO FURTHER ACTION NECESSARY.”1721 [ Versalien im Original ]
Damit war das Projekt einer Gastprofessur in Österreich für Kelsen , der Gast professuren
auf der ganzen Welt innehatte , gescheitert. Abgesehen davon , dass Kelsen in der Folge
vom offiziellen Österreich mit einer Reihe von Ehrungen über häuft1722 und zumindest mit
einer kleinen Wiedergutmachung entschädigt wurde ,1723 kam es zu keinem Angebot , das
den weltberühmten Rechts gelehrten länger fristig an die Universität Wien beziehungswei-
se nach Österreich hätte zurück bringen können.
Einen Vortrag in seiner früheren Heimat hielt Kelsen dann erst 1962. Auf Ein ladung
von Justizminister Christian Broda nahm er in diesem Jahr mit einem Vortrag über „Rich-
ter und Verfassung“ an der Österreichischen Richter woche teil. Anlässlich dieses Aufent-
haltes in Wien fand er auch Zeit für einen Vortrag an der Wiener Urania , bei dem sein
ehemaliger Schüler Josef Dobretsberger die einleitenden Worte sprach.1724
1720 UAW , Personalakt Hans Kelsen / 13 , Dekanat der Universität Wien an Hans Kelsen , Berkeley , vom
8. April 1948.
1721 NARA II , RG 165 , Box 324. Exchange Professor Candidate Hans Kelsen , Captain Bateson , 9. Juli 1948.
1722 1949 wurde Kelsen zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt ; 1960
folgte das Ehrendoktorat der Staats wissen schaften an der Universität Wien sowie die Verleihung des
Österreichischen Ehrenzeichens für Kunst und Wissenschaft.
1723 Parallel zur deutschen Wiedergutmachung in Form der Zuerkennung von Pensions ansprüchen zehn
Jahre zuvor wurde Kelsen , dessen Einkommen bescheiden war , vom damaligen Bundes präsidenten
Adolf Schärf mit Entschließung vom 22. September 1961 , ein bescheidener „außer
orden tlicher Ver-
sorgungs genuß“ gewährt. Vgl. Métall , Hans Kelsen , a. a. O., 87.
1724 Am 5. Juni 1962 hielt Kelsen im Klubsaal der Wiener Urania einen Vortrag unter dem Titel „Was ist
Gerechtig keit ?“ In den einleitenden , humorvollen Worten sprach Dobretsberger , dem Kelsen vergeblich
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741