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4. „The democratic way of life in Austria“
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die Geschichte der Physik , worüber er ziemlich viel weiß. Dies wäre nobel und gefahrlos zu-
gleich , und er könnte ohne Bitterkeit den Weg zu Ende gehen.“1742
Dieses Statement Einsteins gab quasi den indirekten Startschuss für die darauf folgen
den
Intrigen gegen Ehrenhaft. So teilte etwa Hans Thirring in einem Schreiben an Skrbensky
mit , dass „inzwischen eine ganze Reihe von zwei [ sic ! ] teilweise ver nichtenden Gutachten
über Prof. Ehrenhaft
– auch von seinen jüdischen Fach kollegen eingelaufen sind.“ Und im
Postscriptum fügte Thirring noch als mögliche Abschreckungsmaßnahme an , „es schiene
mir wichtig zu sein , Ehrenhaft mitzuteilen , wie hoch die Bezüge sein werden , die er hier
äußerstenfalls erhält und wie groß die Lebens mittel rationen voraussichtlich im nächsten
Jahre sein werden.“1743
Lediglich der remigrierte Physikerkollege und Nobelpreisträger Victor Francis Hess
solidarisierte sich mit Ehrenhaft und berichtete diesem vertraulich , „dass in Wien die Ab-
sicht besteht , das I. Physik. Institut Mattauch zu geben , während Sie nur das Recht haben
sollen , die Vorlesungs sammlung zu benutzen und die allg. Vorlesung für Mediziner zu
halten [ … ]. Meiner Ansicht nach rechnet die Clique in der Fakultät damit , dass Sie diese
Berufung entweder nicht annehmen oder nach Lokalaugenschein sofort wieder nach USA
zurückkehren [ … ]“.1744
Weitere drängende Schreiben von Ehrenhaft an die zuständigen österreichischen Stel-
len blieben jedenfalls sowohl von Sektionschef Skrbensky als auch vom Leiter der USFA-
Education Division , Thomas E. Benner , unbeantwortet.
Nach einem Gespräch mit dem bereits wieder an die Columbia University in New York
zurückgekehrten Ex-Chef der Education Division in Österreich , William B. Featherstone ,
im November 1946 stellte sich heraus , dass Ehrenhaft nach wie vor keine verbindliche Einla-
dung in der Hand hatte , aber so rasch wie möglich nach Wien zurück
kehren wollte. Ehren-
haft bat Featherstone daher
– immerhin waren beide in der „Austrian University League of
America“ aktiv gewesen und Ehrenhaft auch deren Präsident1745
– nachdrücklich um Hilfe-
stellung in der Angelegenheit seiner Rück
berufung , um endlich eine ver bindliche Zu
sage von
Wien zu erhalten und die Rück
über
siedlung für sich und seine Familie planen zu können.1746
In geradezu cowboyhaft-derber Art wandte sich Featherstone daraufhin an seinen Nach-
folger Benner und bat diesen um Unterstützung in dieser für ihn ganz offen
sichtlich unan-
1742 Ebd.
1743 Hans Thirring an Sektionschef Skrbensky , 30. Juli 1946. Zit. nach Braunecker , Der andere Physiker ,
a. a. O., 106.
1744 Ebd., 106 f.
1745 Bundesministerium für Unterricht , Zl. 5763 / 111 / 4b / 46 , 15. März 1946. Zit. nach : NARA II , RG 260 ,
Education Division , Box 1 / 68 , Felix Ehren haft an das State Department , Passport Division , Washing-
ton D.C., 7. März 1947 , 1.
1746 De facto war Ehrenhaft Anfang 1947 bereits von seiner Frau geschieden , da diese nicht nach Österreich
zurückkehren wollte. Siehe : Braunecker , Der andere Physiker , a. a. O., 107.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741