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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Besonders glücklich schien man im Ministerium über die Rückberufung aber nicht ge-
wesen zu sein. Wie in einem der Abschrift des Briefes hinzugefügten Schreiben an die Phi-
losophische Fakultät der Universität Wien angeführt wurde , könnten Ehrenhaft , der „bereit
ist , sämtliche Pflichten eines ordentlichen Professors zu erfüllen [ … ] außer dem Anspruch
auf seinerzeitige Ruhegenüsse der ausschließlich Inländern zusteht , die sonstigen Rechte
eines ordentlichen Professors [ … ] nicht versagt werden.“1754 [ Hervor hebung d. Verf. ]
Die Probleme , vor allem des täglichen Lebens im Nachkriegsösterreich , waren für Eh-
renhaft mit der Ernennung zum Gastprofessor freilich keineswegs vorbei. In einem Schrei-
ben an ihn teilte Benner im Mai 1947
– mit ausgesuchter Höflichkeit und in Anspielung auf
den höheren Zweck seiner Gast professur
–, die harte Information mit , dass er , trotz frühe-
rer Zusicherung , keine zusätzliche Unterstützung in Bezug auf Essensrationen bekomme :
“In view of the fact that you were persuaded to return to Austria to contribute to the democratic re-
orientation of Austrian education and of the assurance which I am told you were given in the Unit-
ed States , I particularly regret that this unfavorable decision on your request seems necessary.”1755
Im selben Monat hielt Ehrenhaft in der Wiener Urania seinen ersten Vortrag über „Der
magnetische Strom
– einzelne nord- und südmagnetische Pole“, wohl auch , um damit sein
bescheidenes Salär etwas aufzubessern.1756
Der 68-jährige Physiker , der mit großer Umtriebigkeit an die neue „alte“ Aufgabe he-
ranging ,1757 das Institut bereits während der Sommerferien 1947 übernahm und mit US-
Unterstützung eine Reihe physikalischer Instrumente organisierte , war außerdem bald mit
spezifisch österreichischen Verhältnissen und Problemen konfrontiert.
In einem ausführlichen Schreiben an Minister Hurdes bemühte sich Ehrenhaft nach
knapp einjähriger Tätigkeit , „hinsichtlich der Regelung meines Ruhe genusses die Einrei-
chung der im Auslande verbrachten Dienstzeit“, zu erreichen , was ihm , wie er hervorhob ,
1946 bei Annahme der Rückberufung zugesichert worden war :1758
1754 UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , DZl. 1962–1946 / 47 , Z.36278-III–8 / 47 , Bundesminister Hurdes
an Felix Ehrenhaft , a. a. O., Mitteilung an das Dekanat der phil. Fakultät , 2.
1755 Ebd.
1756 Den Garten seines Hauses in der Grinzingerstraße hatte Ehrenhaft vom Botaniker Konrad Liebeswar in
eine Gemüseplantage umwandeln lassen. Bei seinem Vortrag in der Urania brachte er , laut Braunecker ,
einen spitze Bemerkung über Albert Einsteins Versuch an , Elektrizität , Magnetismus und Gravitation
einheitlich darzustellen. Vgl. Braunecker , Der andere Physiker , a. a. O., 107.
1757 So wurde bereits am 13. August 1947 auf Antrag Ehrenhafts vom Unterrichtsministeriums – als „Maß-
nahme des innerbetrieblichen Personalausgleiches“ – verfügt , Personal vom II. Physikali schen Institut
( ein Mechaniker ) zum I. Phys. Institut zu verschieben. UAW , Dekanats akten , Phil. Fakultät , DZl. 1962–
1946 / 47 , Unterrichtsministerium an Rektorat der Universität Wien , 13. August 1947.
1758 UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , 1109–1946 / 47 , Brief von U. S. Guest Professor Felix Ehrenhaft an
Bundesminister Hurdes vom 27. August 1948 , 1.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741