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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Zuweilen hat es den Anschein , als ob die Reaktionen österreichischer Behörden und die
Aktivitäten der US-Besatzungs organe nach getrennt ver laufenden , einander fallweise sogar
verstärkenden , jedenfalls kaum zu Konflikten führenden Regel kreisen abliefen
So sehr ein wahrhaft demokratischer Neubeginn im Bereich der öster reichischen Wis-
senschaftskultur strikter Entnazifizierungs maßnahmen sowie einer klaren und transpa-
renten Personalpolitik samt temporärer ( externer ) Supervision bedurft hätte , so wenig
fand genau dies statt. Unter der weder von den Amerikanern noch von den anderen al-
liierten Besatzungsmächten in Frage gestellten „Autonomie“ der Uni ver sität gestaltete
sich der hausgemachte universitäre Neubeginn nicht einmal rudi
mentär nach Grund-
sätzen einer international orientierten , offen-demokratischen Wissen schaftspolitik ge-
schweige denn nach Grundsätzen einer moralischen Wieder gutmachung , die über bloße
Lippen bekennt nisse hinausging. Unter der akademischen Hegemonie einer konservativ-
reaktionären Ideologie , die reformorientierte , liberale oder progressive Positionen in die
Defensive drängte , war eine rasche Eliten restaura tion absehbar beziehungsweise geradezu
unausweichlich. Durch die kon servative wissenschaftspolitische Festlegung der Universi-
tät auf ausschließliche Anfragen bei ordentlichen und außerordentlichen Professoren war
ein akademischer Eliten austausch , wie Oliver Rathkolb konstatiert , überdies weitgehend
unmöglich :
„Mit dieser Festlegung auf Professoren war bereits das mögliche Konzept eines Elitenaustau-
sches begraben
– eine Mischung aus antisemitischen bzw. politischen Reservationen gegen-
über den Exilanten , die rasche Wiedereinstellung der aus politischen Gründen 1938 entlas-
senen oder pensionierten , aber in Österreich verbliebenen ehemaligen NSDAP-Mitglieder
in der Professorenschaft besorgten letztlich die Chancenlosigkeit von Rückholaktionen
[ … ]“.1763
Trotz zunehmenden Drucks der Alliierten nach einer strikten Säuberung der Universitä-
ten – der sich allerdings primär auf Kontrolle und Berichtspflicht richtete , nicht aber auf
tatsächliche Struktur maßnahmen zielte1764
– war die Arbeit der Sonder
kommis
sionen , wie
sich in vielfältiger Weise gezeigt hat , der Tendenz nach eher auf Pardo
nierung beziehungs-
weise Akzeptanz der zur Ent lastung vorgelegten „Unbedenklich keits beweise“ hin angelegt.
Das bestätigt auch eine von Reinhold Knoll für das Fallbeispiel Universität Wien vorge-
legte Reihe ano
ny mi sierter Fall stu dien. Die Durchsicht der schriftlichen Auf zeichnun gen
von Ein ver nahmeprotokollen durch die Sonderkommissionen im Zeit
raum Herbst 1945
bis Sommer 1946 ,1765 die sein Vater August Maria Knoll als ehemaliger Behörden
ver treter
1763 Rathkolb , Die Universität Wien und die „Hohe Politik“ 1945 bis 1955 , a. a. O., 43.
1764 Ebd., 44.
1765 Zuweilen bediente sich die Sonderkommission Auskunftspersonen , die selbst erheblich vor belastet wa-
ren , wie z. B. der frühere NS-Dozentenbundführer Arthur Marchet , der mehrmals zu Beur teilungen
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741