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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Adamovich , der sich Benner freundschaftlich verbunden fühlte , hob in seiner Fest-
ansprache zu einer regelrechten Eloge auf dessen Wirken und dessen „warmes mitfüh-
lendes Herz“ als Leiter der US-Education Division an , wobei er die zugrunde liegende
( historische ) Realität allerdings regelrecht schön redete beziehungsweise grob verzerrte :
„Ihrer Fürsorge verdanken wir es , daß wir aus der geistigen Isolierung , in die wir sieben Jahre
gegen unseren Willen gedrängt worden sind , allmählich herausgeführt wurden und den Zu-
sammenhang wieder gewinnen , mit den Zentren des kulturellen Lebens in Ihrem großem Va-
terlande , daß wir mit wissenschaftlichen Institutionen dieses Ihres Landes wieder in gedank-
lichen Austausch treten , daß wir mit österreichischen Ge lehrten , die ein grausames Schicksal
aus ihrer Heimat vertrieben und jahrelang ver bannt hatte , die Fühlung wieder aufnehmen und
manche von ihnen zur dauernden Rückkehr in ihre Heimat bewegen konnten. [ … ]
Mögen Sie , wenn Sie wieder zurückgekehrt in Ihre Heimat , mit gleicher Tatkraft und glei-
chem Erfolg fortarbeiten zur Wiederherstellung und Festigung der kulturellen Beziehungen
zwischen Ihrem großem mächtigen Lande und unserem heute so schwer geprüften , so tief
gedemütigten Vaterlande Österreich.“1799 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Dass der Rektor der Universität Wien 1947 in einer offiziellen Rede gegenüber einem hoch-
rangigen Offizier der US-Militärbehörden die „Demütigung“ Österreichs beinahe unver-
klausuliert auf die Situation der Besatzung und nicht auf die zurück
liegende NS-Herrschaft
bezog , lässt – einmal abgesehen von der verzerrten Dar stellung der realen Wissenschafts-
remigration – darauf schließen , dass man zu min dest bei hochrangigen Vertretern der US-
Education Division
– allesamt selbst im akademischen Betrieb beheimatete Kollegen
– keine
demokratiepolitischen Korrek
turen zu befürchten hatte ; dies , obwohl darin die von weiten
Teilen der Bevölkerung geteilte , ambivalente Einstellung zum Ausdruck kam , wonach Ös-
terreich zwar einerseits objektiv durch die Alliierten vom National
sozialismus als befreit
betrachtet , das Kriegsende andererseits aber zugleich als eine Nieder lage gewertet wurde.1800
Derartige Ungereimtheiten im ‚Mindset‘ der österreichischen Nachkriegs
generation sowie
die damit verknüpfte Ausgangslage für einen Einstellungs
wandel im Hinblick auf antisemi-
tische und autoritäre Tendenzen zeigten sich mehrfach in den von der Survey-Section des
US-ameri
kanischen ISB durch
ge
führten Umfragen in den Jahren nach 1946.1801
1799 Manuskript der Rede von Rektor Ludwig Adamovich anlässlich der Verleihung der Ehrenmit gliedschaft
an der Universität Wien an Dr. Thomas E. Benner am 12 Juni 1947 , 3. University of Illinois Archives ,
Thomas E. Benner Papers 1930–1979 , Austrian Materials , Rec. Series No. 10 / 1 / 21 [ Kopie im Besitz
des Verfassers ].
1800 Vgl. Barbara Kaindl-Withalm , Demokraten wider Willen. Autoritäre Tendenz und Antisemitismus in
der 2. Republik , Wien 1990 , 91.
1801 Seit dem September 1946 führte das Institut zur Erforschung der öffentlichen Meinung ( unter Super-
vision der ISB-Survey Section ) Befragungen der Bevölkerung ( Personen über 18 Jahre ) im amerika-
nischen Sektor ( Wien , Oberösterreich , Salzburg ) durch , die u. a. die politische Stimmungs lage erkunden ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741