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4. „The democratic way of life in Austria“
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In der Regel reichte die Berufung gegen die Registrierung selbst beziehungsweise der
Hinweis , die NSDAP-Mitgliedschaft habe sich durch automatische „Überstellung“ von
der HJ oder dem BM aus ergeben , für eine bedingte Inskription , was über kurz oder lang
in ein Normalstudium mündete.1854
Dass die politische Säuberung der Studierenden auch von den damaligen Studen ten-
fraktionen von Anfang an – vorsichtig formuliert – nicht mit besonderem Nach druck
verfolgt wurde , geht auch aus einzelnen Kommentaren in der Presse hervor. So schrieb
beispielsweise die kommunistische Österreichische Zeitung dazu in seltener politischer
Äqui distanz :
„Es muß leider ausgesprochen werden , daß in der allerersten Zeit auch von studentischen Ver-
tretern , deren politische Gesinnung über jeden Zweifel erhaben war , die Entnazifizierung der
Hochschulen mit einer schon heute sträflich erscheinenden Sorglosigkeit und Oberflächlich-
keit begonnen wurde. [ … ] Zur Inskriptionszulasssung genügte eine mündliche , nicht einmal
eidesstaatliche Versicherung , politisch nicht belastet zu sein , wobei die Auslegung dieses Aus-
druckes der eigenen Weitherzigkeit überlassen war. Schon im Sommersemester konnte es da-
her vorkommen , daß geschädigte Studenten und Heimkehrer aus der Kriegsgefangenenschaft
in Seminaren und Laboratorien , die damals noch sehr eingeschränkt arbeiteten , keinen Platz
fanden , weil alles von zum Teil schwerstbelasteten Nazis besetzt war.“1855
Tatsächlich verlief die Entnazifizierung auch aus Sicht damaliger Studentenvertreter letzt-
lich „eher mild“;1856 anstelle eine Ausschlusses vom Studium hatten das Gros der belasteten
Studenten als „Sühneleistung“ Arbeitseinsätze für den Wiederaufbau zu erbringen.1857 Das
findet sich auch in der Diplomarbeit von Andreas Huber bestätigt , in die unter anderem
auch Interviews mit damaligen Studentenvertretern eingeflossen sind. So gibt zum Beispiel
Heinz Damian , damals als Student selbst Mitglied einer Überprüfungs kommission , zu Pro-
tokoll : „Die Entnazifizierung , [ … ] die ist ja durchgeführt worden in einer relativ einfachen
Weise [ … ] dann hat man halt in fast 90 von 100 Fällen gesagt : ‚ja der soll studieren‘ “.1858
Insbesondere die – voraussichtlich stimmen stärkste – kon ser vative „Freie Öster reichi-
sche Studentenschaft“ ( FÖST ), die sich als Boll werk gegen den Marxismus verstand und
1854 Vgl. Andreas Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit. Entnazifizierung und politische Unruhen
an der Universität Wien 1945–1950 , Dipl.-Arb., Univ. Wien 2009 , 120 ; vgl. auch die 2011 publizierte
und etwas modifizierte Kurzffassung : Huber , Entnazi fi zierung und Rückbruch. Studierende 1945–1950 ,
a. a. O., 157–302.
1855 „Zur Situation an den Hochschulen“. In : Österreichische Zeitung , 16. Oktober 1946 , 2.
1856 Laut Aussage von Dr. Friedrich Langer , damaliger Leiter des Kulturreferats der ÖH , dessen Mit arbeiter
u. a. Michael Kehlmann , Helmut Qualtinger , Hilde Sochor , Kurt Sobotka oder Gerhard Bronner waren.
Zit. nach : Forster , Die Geschichte der Österreichischen Hoch schüler schaft 1945–1955 , a. a. O., 23.
1857 Heilingsetzer / Mesner / Rögl / Weber , Projektendbericht : Zur Geschichte des VSSTÖ , a. a. O., 106.
1858 Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 83.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741