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4. „The democratic way of life in Austria“
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lesungen über „Demokratie“ und die „nationale Frage Öster reichs“ kombiniert mit Diskus-
sionen für alle angehenden Akademiker abge halten werden.1865
Als politische Interessensvertretung schwenkten aber auch die sozialistischen Studenten
–
durchaus im Einverständnis mit der SPÖ-Parteilinie – letztlich auf eine milde und prag-
matische Vorgehens
weise ein , indem eindeutig Belastete zwar von den Hoch
schulen auszu-
schließen waren , sonst aber auf Umerziehung durch demokratische Diskus sionen gesetzt
wurde. In der VSStÖ-Zeitschrift Strom heißt es dazu : „Wir lehnen es ab , jungen Menschen
wegen eines Fehltrittes
– sei es aus jugendlicher Begeisterung , infolge Unkenntnis der wah-
ren Situation , oder aus wirtschaftlichen Gründen – den Weg in eine bessere sozialistische
Zukunft zu versperren. Aber wir weisen Hofratsprotektionen für SS-Leute , Funktionäre
und andere aktive Nazi , die sich ihrer Verantwortung sehr wohl bewußt waren , entschieden
zurück.“1866 Ähnlich verhielt es sich auch mit der entsprechenden Position der kommunis-
tischen Studenten. Bei einer Versammlung des kommunistischen Studentenbundes sprach
Nationalrat Ernst Fischer über „Probleme der Hochschule“ und betonte dabei – freilich
etwas paradox – die allgemein-menschliche Dimension in der universitären Entnazifi-
zierung , ohne die spezi fisch inhaltlichen Herausforderungen im Bereich wissenschaftli-
cher Forschung und Lehre mit in den Blick zu nehmen , indem er meinte : „Ich halte den
National sozialismus für falsch , aber ich werde mir nie anmaßen , einen menschlich anstän-
digen Nationalsozialisten zu verachten.“1867
Spätestens im Vorfeld der bevorstehenden Hoch schüler schafts wahlen wurde allerdings
von den Studentenfraktionen , analog zum Stimmenfang durch die politischen Großpar-
teien – hier insbesondere durch den FÖST und den VSStÖ – bereits um Stimmen auch
unter ehemaligen Nationalsozialisten gebuhlt.1868
Dass unter den Studierenden der Universität Wien Anfang 1946 Personen mit ein-
schlägig nationalsozialistischer Vergangenheit offenkundig keineswegs Einzelfälle waren ,
dokumentiert ein Schreiben des zweiten Präsidenten des Stadtschulrates für Wien , Le-
opold Zechner , an das Bundesministerium für Unterricht. In diesem Schriftstück wird
die „groteske“ Praxis einer Bevorzugung von belasteten Studenten gegenüber unbelasteten
Kommilitonen zur Sprache gebracht und kritisiert :
„Nach Mitteilungen , die dem Stadtschulrat für Wien zugekommen sind , sollen an Wiener Hoch-
schulen Lehrpersonen inskribiert sein und studieren , die gemäss dem Verbotsgesetz registrie-
1865 Ebd.
1866 Strom , 2. Jg., Folge 7 / 8 , 1946. Zit. nach : Heilingsetzer / Mesner / Rögl / Weber , Projektendbericht : Zur
Geschichte des VSSTÖ , a. a. O., 106.
1867 Ernst Fischer , „Ich achte jeden überzeugten anständigen Nationalsozialisten“. In : Akademische Rundschau ,
2. Jg., Nr. 8., 16. November 1946 , 4.
1868 „Wenn sich ein Nazi zu einer Partei schlug , konnte er auf jeden Fall studieren.“ Aussage von Dr. Ale-
xander Kragora ( FÖST ). Zit. nach : Forster , Die Geschichte der Österreichischen Hoch schüler schaft
1945–1955 , a. a. O., 24.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741