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4. „The democratic way of life in Austria“
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Bereits Ende des Jahres 1945 existierte ein eigenes „Quadri
partite Sub-Committee on De-
nazification in Austrian Universities“ innerhalb des im November eingerichteten Alliierten
Entnazifizierungsbüros ,1880 das mit Inkrafttreten des Verbotsgesetzes am 5. Februar 1946 für
ganz Österreich die Tätigkeit des im Jänner eingesetzten ministeri
el len „Figl“-Entnazifi-
zierungskomitees überwachte. Die Tätigkeit dieses Gremiums beschränkte sich , analog zur
alliierten Standpunkt , die Entnazifizierung von den österreichischen Behörden selbst durch-
führen zu lassen , im Wesentlichen auf Super vision und informelle Empfehlungen ( „technical
recommendations“ ).1881 Immerhin wurden vom alliierten Denazification Sub-Committee
aber vollständige Listen des ent
hobenen und vorhandenen Lehrpersonals an österreichischen
Universitäten , teilweise mit detaillierten Informationen über die jeweilige demokratisch-po-
litische Ver lässlich keit der einzelnen Personen geführt sowie darüber , wer trotz NSDAP-
Mitgliedschaft nach dem März 1938 von den österreichischen Sonderkommissionen für trag-
bar erklärt worden war und nun
– aufgrund alliierter Entscheidung
– zu entheben war.
Nach den Nationalratswahlen im November 1945 kam es auch auf dem Boden der Uni-
versi tät zur Verschärfung der parteipolitischen Gegensätze , zumal nun auch wieder die
traditionellen Studenten-Korporationen , insbesondere der Cartellverband ( CV ), bei dem
auch Bundeskanzler Figl Mitglied war , um Zu lassung bemüht waren.1882
Bereits in der ersten Sitzung des Unterrichtsausschusses des Nationalrates im Jänner
1946 hatte der SPÖ-Abgeordnete Erwin Scharf Unterrichtsminister Hurdes darauf auf-
merksam gemacht , dass an den Hochschulen die Absicht bestehe , den „Unfug der far-
bentragenden Studentenverbindungen“ wieder zuzulassen. Die Arbeiterzeitung ver wies in
diesem Zusammenhang auf die Gefahr einer Reetablierung reaktionären , akademischen
Standes- und Klassendünkels , der die Universitäten schon einmal zu „Brutstätten des Fa-
schismus“ gemacht habe :
„Man komme uns auch nicht mit der Autonomie der Hochschulen ! In Wahrheit
– und darum
ist das Wiederaufleben des Farbenstudententums keine reine Hochschulfrage , sondern eine
Frage allgemeinen und öffentlichen politischen Interesses – könnte unter den gegenwärtigen
Umständen in Österreich die Wiederherstellung des Korps studen ten tums nur eines von zwei
üblen Dingen bedeuten. Entweder man will den deutsch
nationalen Tendenzen in dieser Ver-
1880 Dieses „Quadripartite Denazification Bureau“ stand unter Supervision der alliierten „Internal Affairs
Division“ und setzte sich zur Aufgabe , „carrying out a complete denazification of the Austrian state ma-
chinery and economic apparatus.“ Allied Com mission for Austria , Allied Council , ALCO / P( 46 )4 , Reel
1–23 , 1945 May–Feb. 1946 , The denazification of Austrian state machinery , 8th January 1946 , 1.
1881 Dem Komitee gehörten an : Vorsitzender Mr. Needham ( GB ), Mr. Ray ( US ), Capitaine de la Maestre
( Fr ) und Mles. Strojteleva und Smirnova ( UdSSR ). Report of Quadripartite Sub-Committee on Dena-
zification in Austrian Universities , 7th September 1946. NARA II , RG 260 , Box 11 , Folder 68 , Records
of the United States Occupation Headquarters , World War II , USFA / USACA , Internal Affairs / Dis-
placed Persons Division , Denazification Branch , General Records , 1945–50 , 1.
1882 Forster , Die Geschichte der Österreichischen Hochschülerschaft 1945–1955 , a. a. O., 58.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741