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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
dersetzungen und Schlägereien gipfelte und dabei 31 zum Teil schwer Verletzte1943 forderte.
Obwohl mit der Diplomarbeit von Andreas Huber , die nach der Niederschrift dieses Kapi-
tels fertiggestellt wurde , nun eine erste , auf Primärquellen basierende Arbeit zur Entnazi-
fizierung der Wiener Studentenschaft vorliegt und unter anderem auch detailliert auf die
Geschehnisse rund um die erste ÖH-Wahl eingeht , scheint es dennoch sinnvoll zu sein ,
dieses Ereignis im Folgenden – unter Einbeziehung des von Huber bearbeiteten Materi-
als – etwas eingehender zu behandeln. Zum einen deshalb , weil der thematische Schwer-
punkt der vorliegenden Studie eine andere Kontextualisierung und eine andere Interpre-
tation jener Ereignisse ermöglicht , zum anderen , weil zum Teil andere beziehungsweise
zusätzliche Quellen verwendet wurden , die einander zudem gut ergänzen.
Laut österreichischem Hochschulgesetz vom 3. September 1945 war für das Studien-
jahr 1946 / 47 eine allgemeine freie Wahl der Hochschulvertreter vorgesehen. Die alliierten
Behörden machten das Plazet für die Wahl von der strikten Säuberung der Hoch schulen
abhängig , wodurch sich der Termin verzögerte und die Wahl erst im Winter semester statt-
finden konnte ; zuletzt hatten noch die Sowjets im Alliierten Rat Ein
wände geäußert , weil
sie eine politische Meinungsbildung an den Universitäten zum damaligen Zeitpunkt ver-
hindern wollten. Am 10. Oktober wurde die Durchführung der ersten ÖH-Wahlen vom
Unter richts ministerium aber schließlich für Dienstag , den 19. November 1946 genehmigt.
Die Wahl sollte als Listenwahl der drei wahl werbenden Studenten organi sationen ( FÖST ,
VSStÖ , KSBV )1944 stattfinden , wobei am Wahltag im Umkreis von 100 Metern Entfer-
nung jegliche Wahlwerbung von den Hochschulen untersagt war.
Von den amerikanischen und britischen Besatzungsbehörden wurde beanstandet , dass
die Wahl auf die drei wahlwerbenden Studentenfraktionen beschränkt wurde , worin man
eine ernstzunehmende demokratiepolitische Einschränkung sah. Nach scharfen Angrif-
fen gegen die Wiener Hochschulen im Neuen Österreich und im Wiener Kurier kam es zu
einer Aussprache zwischen dem Leiter der US-Education Division Thomas Benner und
Rektor Adamovich. Dabei beanstandete Benner ins besondere die Beschränkung der Wahl
auf die drei wahlwerbenden Gruppierungen , zeigte sich aber mit der Absicht der Rektoren
einverstanden , die Wahl nicht auf dem Boden der Universität , sondern in den jeweiligen
Räumlichkeiten der Hochschülerschaft durchführen zu lassen.1945 Am 26. September hatte
Lebensmittelrationen und für bessere soziale Verhältnisse auf die Straße gingen. Zudem wurde von den
Demonstranten heftig kritisiert , dass es in Wiener Neustadt auch 17 Monate nach der Befreiung noch
immer keinen Gemeinderat gab. Vgl. Österreichische Zeitung , 26. Oktober 1946 , 2.
1943 Akademische Rundschau , 2. Jg., Nr. 10 , 30. November 1946 , 36.
1944 Die Vereinigung demokratischer Studenten ( VdS ), die sich nominell als unpartei liche Grup pierung ge-
rierte , war vom Innenministerium abgelehnt worden , da man in ihr eine Tarn organi sation extrem linker
Kräfte vermutete. Siehe dazu : Forster , Die Geschichte der Österreichischen Hoch schülerschaft 1945–
1955 , a. a. O., 114.
1945 UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studienjahres 1946 / 47 , Protokoll der 4. Sitzung des Akade
mi schen
Senates der Universität Wien , 16. November 1946 , 2.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741