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4. „The democratic way of life in Austria“
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und die Forderungen der Arbeiter zur Demokratisierung der Hoch schulen“1999 enthielt.
Darüber hinaus richtete der Arbeiterbetriebsrat der Siemens-Schuckert-Werke AG ein
Schreiben an den Vorstand der Gewerkschaft der Metall- und Bergarbeiter Österreichs ,
in dem die Arbeiter „ihrer Empörung über die nazistischen Kundgebungen an den Hoch-
schulen Ausdruck“ verliehen und zu einer einheitlichen Kundgebung der Gewerkschaft
auf riefen. In überaus heftiger ideologischer Zuspitzung hieß es darin :
„Die Schuldigen und Nutznießer des Kriegs und des heutigen Elends [ … ] werden wieder fre-
cher , da sie von allen reaktionären Kräften gestützt und gefördert werden. Die ungezählten
Toten der KZler und des Zweiten Weltkriegs mahnen , auf der Wacht zu sein. Aus der Ver-
gangen heit ist bekannt , daß die Hochschulen die Brutstätten der mordenden Reaktion und
des Faschismus waren.“2000
Ein weiteres Schreiben an den „Landesverband Wien ehemals politisch verfolgter Anti-
faschisten und KZ-Häftlinge“ forderte ein gemeinsames , einheitliches Vorgehen gegen
diese „Umtriebe“. Außerdem hatte die ge samte Belegschaft der Firma „Reichhold , Függer
und Boecking“ eine Resolution auf ge setzt , die schärfsten Protest gegen die „nazistischen
Provokationen“ auf universi
tärem Boden erhob : „Wir fordern die Regierung auf , diesem
Treiben sofort Einhalt zu gebieten. Wir dulden es nicht , daß Nazioffiziere die Opfer des
Nazi faschismus schmähen und beschimpfen. Hinaus mit den Faschisten aus den Hoch-
schulen !“2001 Auch der Bundesvorstand des Gewerk
schaftsbundes nahm zu den Vor
gängen
Stellung und verlangte , dass der „Nazismus mit Stumpf und Stiel ausge
rottet und die nazis-
tischen Elemente rücksichtslos entfernt werden.“2002 Weitere Protestversammlungen , die
zum Teil von Sprechern der KPÖ
– unter anderem hielten auch Friedl Fürnberg und Ernst
Fischer Reden2003 – dominiert waren , fanden in der Leopoldstadt , im Sokoll-Saal in Fa-
voriten , in Stadlau und in der Brunner Glas fabrik statt , wo unter stürmischem Beifall die
„rücksichtslose Säuberung“ der Hoch
schulen ge
fordert wurde. Darüber hinaus beschloss die
KPÖ für den 21. November eine Konferenz der Ver trauensmänner der Betriebe und Wiener
Bezirke , wo „eine mächtige , umfassende Aktion aller Wiener Bezirke und Betriebe gegen
die faschis
tischen Provokationen“ geplant werden sollte. Beigefügt wurde die Em
pfehlung ,
1999 Ebd.
2000 Ebd.
2001 Österreichische Zeitung , 19. November 1946 , 12.
2002 Volksstimme , 20. November 1946 , Nr. 270 , 1.
2003 Abgeordneter Ernst Fischer wurde mit den folgenden , drohenden Worten zitiert : „Wir wollen energisch
und unmißverständlich erklären , daß schöne Worte und Bekenntnisse nicht mehr genügen , sondern daß
wirklich eine ‚Säuberung‘ und Erneuerung der Hochschulen erfolgen muß. Wenn die Behörden in ab-
sehbarer Zeit keine Änderung treffen werden , dann allerdings könnte der Tag kommen , wo die Arbeiter
auf eigene Faust und mit eigener Faust solchen Ereignissen ein für allemal einen Riegel vorschieben.“ Zit.
nach : Volksstimme , 19. November 1946 , Nr. 269 , 1.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741