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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Als Josef Schneeweiß , der Obmann der sozialistischen Studenten „verlangte , daß von den
kommunistischen Parteifahnen die sozialistischen Abzeichen entfernt werden“2017 – aus
Sicht des VSStÖ sollte die „gemeine und nahezu kriminelle Verwendung sozialistischer
Embleme“2018 den Wahlerfolg der sozialis tischen Wahlgruppe schmälern –, soll auch er
mit Schlägen bedroht worden sein.
Obwohl die Arbeiterzeitung die Entnazifizierung der Studenten und der Professoren
mit Vehemenz forderte ,2019 ging sie entschieden auf Distanz zu den Ausschreitungen bei
den Hochschülerschaftswahlen und rückte dabei die kommunistisch dominierte Demons-
tration
– zumindest hinsichtlich der vermuteten Folgen
– gewissermaßen ins rechte Eck :
„Jeder Wiener Sozialist und jeder Wiener Arbeiter wird ebenso wie die sozialis tischen Stu-
denten alle Maßnahmen zur Bekämpfung der Naziumtriebe an den Hoch
schulen begrüßen.
Aber die Art , in der gestern von kommunistischer Seite ‚demon striert‘ wurde , muß schärfstens
abgelehnt werden. Das ist die beste Methode , die Demokratie zu diskreditieren !
– also genau
das , was die Nazi wollen.“2020
Durch die beanstandete Einbeziehung der Protestnote des Österreichischen Gewerk-
schafts bundes am Tag zuvor konnte außerdem der Eindruck entstehen , dass sich die
Gewerk schaften mit ihrem Protest gegen den „rein nazistischen Charakter“ der Kundge-
bung nur auf die Demonstrations züge am Wahltag bezogen.2021
Dass man als Sozialistische Partei aber jederzeit gewillt war , den Kampf gegen die „Re-
aktion an den Hochschulen“ organisiert und aktiv zu führen , wird unter anderem an einer
Rede deutlich , die der damalige Floridsdorfer Bezirksvorsteher Franz Jonas am Tag nach
den Aus schreitungen bei einer Parteiversammlung hielt :
„Der krepierende Kapitalismus ist nicht mehr imstande , die Wirtschaft in Ordnung zu halten ;
er versagt auch auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung. Wie die Sozialistische Partei heu-
te die Wirtschaft plant , so wird sie morgen auch Kultur und Wissenschaft planmäßig fördern.
Wir versichern unseren Genossen an den Hochschulen : wenn ihr einmal im Kampf gegen die
2017 Arbeiterzeitung , 20. November 1946 , Nr. 270 , 2.
2018 Strom , 2. Jg., 23. November 1946 , Folge 39 , 1.
2019 So schrieb Walter Hacker in der Arbeiterzeitung : „Die Ausbildung und Erziehung unserer Studen ten
obliegt heute einem Lehrkörper , dessen Angehörige zum überwiegenden Teil den Übergang von der
Demokratie zum Faschismus in den Jahren 1934 und nachher willkommen hießen oder widerstandslos
akzeptierten. Zum überwiegenden Teil konnten sie ihre Lehrtätigkeit auch unter den Nazi fortsetzen
und sind heute besten falls ‚unbelastet‘ oder ‚minderbelastet‘. Sie sind aber nicht die Künder und Lehrer
einer posi tiven Demokratie , derer wir zur Erziehung einer neuen Generation von demo kra ti schen Aka-
demikern bedürfen.“ Arbeiter zeitung , 20. November 1946 , Nr. 270 , 1 f.
2020 Arbeiterzeitung , 20. November 1946 , Nr. 270 , 2.
2021 Vgl. ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741