Page - 465 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Image of the Page - 465 -
Text of the Page - 465 -
465
Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Anmerkungen.2028 Darüber hinaus fehlt auch der vom Leiter des Präsidialbüros , Anton
Walitschek , zu den Ereignissen verfasste Bericht in der Registratur , was darauf schließen
lässt , dass entweder ein interner Maulkorberlass befolgte wurde oder die Berichte der ge-
samten An gelegen heit
– vermutlich in Absprache mit alliierten Militär stellen2029
– direkt
an das Innenministerium ergingen. Im Österreichi
schen Staats archiv finden sich jedenfalls
staatspolizeiliche Mitteilungen sowie vereinzelt Tages
berichte der Wiener Polizei
direktion
an das Innenministerium , die Andreas Huber ausfindig gemacht und im Rahmen seiner
Diplomarbeit mitausgewertet hat.
Keine Frage ist auch , dass die amerikanischen Militärstellen über diese politisch hoch-
gradig instrumentalisierte Demonstration alles andere als erfreut sein konnten , die sowohl
die Kommunisten als auch die sowjetische Besatzungsmacht dafür nützten , um Druck auf
die Universitäten auszuüben und die bisher erfolgten Ent nazifizierungsmaßnahmen im
universitären Bereich in Zweifel zu ziehen. Dass die amerikani sche Besatzungsmacht wo-
möglich direkt „Druck auf die sowjetische Besatzungs
macht“2030 aus geübt haben könnte ,
die Kundgebung abzublasen , ist jedoch weder aus einschlägigen Akten abzulesen , noch
ergäbe dies politisch betrachtet eine Pointe. Hätte es doch bedeutet , sich auf die Seite
der Reaktion zu stellen und die ganz unzweifelhaft unzu reichende Entnazifizierung der
Universitäten offen zu verteidigen. Dies wiederum hätte einen inhaltlich schwer argumen-
tierbaren Konflikt mit der russischen Besatzungs macht herauf be schworen – einen Kon-
flikt , der womöglich einen tiefen Riss in der alliierten Besatzung des Landes zur Folge
gehabt hätte und obendrein den eigenen macht- und sicherheitspolitischen Überlegungen
2028 So vermeldete der polizeiliche Monatsbericht für die Zeit vom 1. bis 30. November 1946 : „Die
Vor fälle an der Universität wurden von einem großen Teil der Wiener Bevölkerung als eine rein
kommu nistische Propagandaaktion ablehnend beurteilt. Es wurde hierbei betont , dass von Seiten
der Studenten nie versucht worden war , auf Arbeiterbetriebswahlen irgendeinen Einfluss zu nehmen.
Anderseits [ sic ] wurde auch die Meinung vertreten , dass bei der Zulassung von nationalsozialistisch
belasteten Hochschülern zu großzügig verfahren wurde. Letzten Ende befürchtet man aber , dass
durch dergleichen Vorfälle den Besatzungsmächten Grund zu einem verlängerten Aufenthalt gegeben
wird.“ Und weiter : „Die Vorfälle anlässlich der Hoch schulwahlen zeigten , dass in der Studenten-
schaft verschiedene antisemitische Elemente an der Arbeit sind , weshalb eine neuerliche Überprü-
fung sämtlicher Hörer sich als notwendig erwiesen hat.“ Zit. nach : Schembor , Polizeiliche Situations-
berichte für die Jahre 1945 und 1946 , a. a. O., 291.
2029 Lediglich ein indirekter Hinweis lässt sich finden : Bei einer „Vorsprache“ des Wiener Polizei präsidenten
beim russischen Generalleutnant Lebedenko wünschte dieser
– womöglich wollte er sich gegenüber den
öffentlichen Anwürfen einer kommunistischen Infiltration der Wiener Polizei wappnen – Information
darüber , „von wem in Wien Demonstrationen organisiert werden.“ Eine weitere Frage Lebedenkos war ,
„ob nicht die Polizei auch Demonstrationen organisiert“, was freilich verneint wurde. BPDW , Russische
Besatzung 5 , Akte 1946–1950 , Aktenvermerk 19. Dezember 1946 , 1.
2030 Dies vermutet Andreas Huber mit Verweis auf die Aussage des Zeitzeugen Robert Rosner , wonach ein
Demonstrationszug nur wenige hundert Meter vor Erreichen der Universität zurück gepfiffen worden sei.
Vgl. Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 188.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741