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4. „The democratic way of life in Austria“
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Dezember 1946 in New York noch auf der Londoner Konferenz der Sonderbeauftragten
im Jänner 1947 und der darauffolgenden Außen ministerkonferenz in Moskau eine Rolle ,
wo unter anderem bereits die Militär
klauseln des künftigen Staatsvertrages verhandelt be-
ziehungsweise fixiert wurden.2074
Ebenfalls am 20. November 1946 fand in den voll besetzten Stefanie-Sälen in Wien
Hüttel dorf eine Versammlung der SPÖ zu den Hochschulereignissen statt. Dabei spra-
chen sich die anwesenden Vertreter der sozialistischen Studenten unter großem Beifall für
‚Säuberungsmaßnahmen‘ unter der Studentenschaft aus , die nun „gegen alle Faschisten ,
nicht nur gegen Nazi“ gerichtet sein sollten. Neu in die Diskussion gebracht wurde von den
VSStÖ-Vertretern die womöglich un um gängliche Einrichtung eines scharfen politischen
Numerus clausus. Immerhin sei es besser , „heute zehntausend Studenten und unter ihnen
vielleicht auch ein paar Un schuldige vom Studium auszuschließen , als in einigen Jahren
auch nur tausend Nazi wieder in wichtigen Stellungen zu haben.“2075
Künftig sollten Studenten in folgender Reihenfolge zugelassen werden : „1. Aktive Anti-
faschisten. 2. Durch den Faschismus geschädigte Studenten. 3. Solche , die währen der
letzten anderthalb Jahre positive Aufbauarbeit geleistet haben , und dann erst
– wenn noch
Platz ist
– 4. die sogenannten ‚Unbelasteten‘ “.2076
Der Vorschlag zur Einführung eines politischen Numerus clausus war bereits zuvor von
Walter Hacker in der Arbeiterzeitung angesprochen worden , wobei er die kausale Begrün-
dung
– in direkter Anlehnung an die Argumentation des Ver bandes demo
kratischer Hoch-
schullehrer in der bereits erwähnten Broschüre die „Wehr losen“
–, noch weiter trieb , indem
er sich gegen die des öfteren vorge brachten Einwände gegen Professoren-Enthebungen
im Zusammen hang des bestehenden Personal mangels wandte : „Zur gleichen Zeit wird
die Verminderung der Zahl der Studierenden eine wirkliche und wirksame Säuberung
der Professorenschaft ermöglichen , da nicht länger auf den großen Bedarf an Lehrkräften
Rücksicht zu nehmen sein wird.“2077
Darüber hinaus wurde auch über die notwendige „Reinigung der Professorenschaft“ de-
battiert , immerhin würde für den „jungen Studenten [ … ] sein Professor das wichtigste Bei-
spiel“ geben. Der sozialistische Nationalratsabgeordnete Alfred Migsch , seines Zeichens
auch parlamentarischer Berichterstatter zur Entnazifizierung , merkte dies
be
züglich an , dass
„der Großteil aller Studierenden niemals demokratische Ver
hältnisse kennen
gelernt“2078 habe.
Schließlich wurde – mit deutlich revanchistischem Unterton in Bezug auf die vorbe-
reitende Rolle „klerikaler Wissenschafter und Professoren“ zur Zeit des „Stände staates“
–,
gegenüber der „Union“ als Akademikerorganisation der ÖVP große Bedenken geäußert ,
2074 Stifter , Die Wiederaufrüstung Österreichs , a. a. O., 57 f.
2075 „Arbeiter und Studenten kämpfen gemeinsam.“ Arbeiterzeitung , Nr. 271 , 21. November 1946 , 1.
2076 Ebd.
2077 Walter Hacker , Hochschulen und Demokratie. In : Arbeiterzeitung , 20. November 1946 , Nr. 270 , 2.
2078 Ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741