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4. „The democratic way of life in Austria“
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klärt , jedoch in der Praxis nicht daran teilgenommen.“ Weitere Schwierigkeiten ergaben
sich , weil – insbesondere an der medizinischen Fakultät – Studierende „teils entschuldigt ,
teils unentschuldigt“ den Sitzungen fernblieben.2102 Probleme besonderer Art traten in der
Überprüfungs kommission an der juridischen Fakultät auf , wo Kommissionsvorsitzender
Ehrenzweig „über schwere Mißstände bei der Fachgruppe Juristen Beschwerde führt , die
geeignet wären , das weitere Arbeiten der Kommissionen überhaupt in Frage zu stellen.“
Ehrenzweig bat den Dekan um sofortige Abhilfe und wies mit Nachdruck darauf hin , „daß
sich aus diesen Miß ständen eventuell sogar außenpolitische Folgen ergeben könnten.“2103
Anlass für die Beschwerde war die Amtsführung des Kommissionsvorsitzenden an
der juridischen Fakultät , Dozent Otto Weinberger , dem der Vorwurf gemacht wurde ,
in Über prüfungs verfahren fahrlässig vorgegangen zu sein und dabei Inskriptionswerber
beziehungsweise Studierende zu Unrecht vom Studium ausgeschlossen zu haben. Kon-
kret wurde Weinberger dabei vorgeworfen , über „Studenten in Abwesenheit verhandelt“
zu haben , „ohne daß vorher überprüft wurde , ob ihnen die Ladung zur Sitzung ent-
sprechend den in Österreich hiefür geltenden Vorschriften ordnungsgemäß zugestellt
worden sei.“ Des Weiteren wären Verhandlungsprotokolle „derart mangel haft verfasst
worden [ … ] , daß sie nicht einmal die notwendigen Personal angaben über die zu kom-
missionierenden Studenten enthielten , geschweige denn eine Begründung der erfolgten
Ablehnung“. Darüber hinaus seien „Studenten einstimmig ausge schlossen worden , deren
Belastung zweifellos nicht so war , daß ein derart schwer wiegender Beschluß hätte gefaßt
werden können.“2104
Angesichts dieser Anwürfe bat Weinberger bei Rektor Adamovich um seine Enthe-
bung als Kommissionsvorsitzender und begründete das schriftlich damit , dass er sich „als
ehemals politischer Verfolgter befangen erklären müßte“. Rektor Adamovich sah sich an-
gesichts dieser „befremdenden“ Begründung genötigt , Weinberger zu erklären , dass er sich
„auf Grund seiner politischen Verfolgung [ durch das NS-Regime , d. Verf. ] nicht für befan-
gen erklären [ könne ] , da laut Verordnung des Unterrichtsministeriums ausdrücklich nur
solche Herren als Mit glieder der Kommission zu berufen seien , die politisch oder rassisch
verfolgt wurden oder sich in der Widerstandsbewegung betätigt haben.“2105
Nachdem Weinberger aber , wie Adamovich im Akademischen Senat ausführte , mit dem
Ausschluss eines Studenten , der Angehöriger des NS-Rechtswahrer bundes und des NSV ge-
wesen war , „die Gleichheit vor dem Gesetz auf das Gröbste verletzt“2106 sah , wurde Weinber-
gers Rücktritt letztlich doch angenommen und ein neuer Kommis
sions
vorsitzender bestellt.
2102 UAW , Dekanatsakten Phil. Fakultät , 493–1946 / 47 , G. Z. 260–1946 / 47 , Rektor Adamovich an die
Herrn Rektoren sämtlicher österreichischer Hochschulen , 8. Februar 1947 , 8.
2103 UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studienjahres 1946 / 47 , Protokoll über die außerordentliche Sit-
zung des Akademi schen Senates der Universität Wien , 20. November 1946 , 8.
2104 Ebd., 5.
2105 Ebd., 4.
2106 Ebd., 5.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741