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4. „The democratic way of life in Austria“
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eine derartige Äußerung war wohl auch für einen Abgeordneten keines wegs karriereför-
dernd2161 – auf den seiner Ansicht nach höchst prekären Status quo der Entnazifizierung
mit beklemmenden Worten Bezug nahm :
„So unglaublich es klingen mag , aber es sind Beweise dafür vorhanden : reichs deutsche Nazi
stehen heute als Dolmetscher in alliierten Diensten , bei den öster reichischen Gerichten finden
wir Nazi in Hülle und Fülle , in der Exekutive gibt es Nazi noch mehr als genug und die Ämter
und Behörden bilden geradezu ein Muster beispiel hierfür , wie man die Entnazifizierung des
Bürokratieapparates nicht durch führen soll.
Das NS-Gesetz ist überhaupt noch gar nicht richtig in Anwendung gekommen , das Kriegs-
verbrecher- und das Verbotsgesetz wird umgangen , so gut es geht , der nazi reiche Beamten-
apparat findet immer Mittel und Wege , um Kriegsverbrecher prozesse so weit als nur möglich
hinauszuschieben , und schon reden , kaum drei Jahre nach dem Zusammenbruch der größten
Mörderpartei aller Zeiten , sich namhafte Politiker die Zunge wund , um ein Amnestiegesetz
als Taufpate aus der Taufe heben zu können , das die ach so unschuldige nazistische Jugend
gänzlich von den Folgen ihrer braunen Vergangenheit befreit. Jugendliche von damals , sie soll-
ten restlos entregistriert werden. Aber die Jugendlichen vom Jahre 1938 sind heute restlos reife
Männer. Es sind leider vielfach solche Männer , welche heute wieder in ihren naziverseuchten
Gehirnen das ‚Vierte Reich‘ erträumen und die auf den österreichischen Hoch schulen Naziideologien
vertreten , die in den Kinos zu lachen beginnen , wenn ein österreichischer Minister oder Kanz-
Geschichte der Okkupation Österreichs. Erster Teil ( nach amtlichen Quellen ), Wien 1946 , 146 f. ; wei-
ters : Rathkolb ( Hrsg. ), Gesellschaft und Politik am Beginn der Zweiten Repu blik , a. a. O., 221 f. ; Rainer
Hilbrand , Der Freiheitssender Ausseerland. In : Ausseer Beiträge zur Kultur und Zeit ge schichte (= Schrif-
tenreihe des Heimatmuseums „A “, Bd. 7 ). Hrsg. v. Hans Michael Roithner , Bad Aussee 1985 , 91 ; zuletzt :
Albrecht Gaiswinkler. Sprung in die Freiheit , Ried-Verlag , Wien-Salzburg , 1947.
2161 Tatsächlich geriet Gaiswinkler bald in Konflikt zur SPÖ-Spitze und schied aus der Partei aus. Siehe dazu :
Rathkolb ( Hrsg. ), Gesellschaft und Politik am Beginn der Zweiten Republik , a. a. O., 214 f. Aus Sicht
des US-amerikanischen OSS-Mitarbeiters Paul R. Sweet stellte sich die Person Gaiswinklers folgender-
maßen dar : „[ … ] Albrecht Gaiswinkler , is certainly one of the most imposing personalities to have come
to the force in the new Austria. Young , forthright , and intelligent , he is present Buergermeister of Bad
Aussee and head of the Resistance [ … ].“ Ebd., 211. Wie aus einem US-Geheimdienstdokument ( G-2 )
hervorgeht , stand Gaiswinkler , dem u. a. vorgeworfen wurde , als selbsternannter Bezirkshauptmann „re-
moving Nazi functionaries with no other authority than his own“, im „Verdacht kriminellen Verhaltens“,
da er von der amerikanischen Militärpolizei anvertrautes Material unerlaubter Weise behalten hätte ,
woraufhin das Gericht in Wels den Antrag auf Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität und die
US-Militärpolizei einen Haftantrag stellte. Darüber hinaus war Gaiswinkler , so das US-Geheimdossier
weiter , durch einen Artikel in der Grazer Neuen Zeit negativ aufgefallen , in welchem er behauptet hatte ,
dass Ing. Raab , Gleißner und Bischof Rohracher an der „Regierung Kaltenbrunner“ beteiligt gewesen
seien. Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954
( Mikrofilm-Bestand Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 1 , Political
Advisor Vienna , Erhardt , to Department of State , „Report G-2 , USFA – The Gaiswinkler Case“, 11.
June 1946 , 1.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741