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5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg
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ehemals Dozent und Senatsmitglied am Polytechnischen Institut in Brünn , während
des Ersten Weltkrieges Delegierter des österreichischen Roten Kreuzes und Gründer
der Masaryk-Volkshoch schule in Brünn ( 1921 ),2249 der größten Erwachsenen bildungs-
einrichtung der Tsche chos lowakei in der Zwischenkriegszeit.2250 Iltis , der sich als Geolo-
ge , Biologe und Genetiker unter anderem intensiv mit der Mendelschen Vererbungslehre
auseinander
gesetzt hatte , bekämpfte bereits ab 1930 in Publi
ka tionen die Unsinnigkeit bzw.
Stupidität der nationalsozialis
tischen Rassen
theorie.2251 Unter aktiver Mithilfe Albert Ein-
steins und des aus Deutschland stammenden US-Anthropologen Franz Boas konnte Iltis
1939 in die USA emigrieren ,2252 wo er eine Professur an der University of Virginia erhielt.
Thomas-Masaryk Volkshoch schule in Brünn , deren Direktor er bis 1938 blieb. Während des Ersten
Weltkriegs war Iltis u. a. Leiter eines Feldlazaretts der k. k. Armee. Nach seiner Emigration in die Ver-
einigten Staaten 1939 , wo er 1944 die US-Staats bügerschaft erhielt , arbeitete er u. a. an der University
of Virginia. Der Nachlass von Hugo Iltis , der
– neben biografischen Arbeiten zu Gregor Mendel ( etwa :
Hugo Iltis , Gregor Johann Mendel : Leben , Werk und Wirkung , Berlin 1924 ; Ders., Life of Mendel ,
New York 1932 ) – mit mehreren wissen schaftlichen Publikation in Erscheinung trat , befindet sich am
„Hunt Institute for Botanical Documentation“, Carnegie Mellow University , Pittsburgh / Pennsylva-
nia. The U. S. Occupation of Germany : Educational Reform 1945–1949 , Microfilm-Collection , a. a. O.,
1-A-13.
2249 Vgl. Hugo Iltis , Die Volkshochschule Brünn : Gründung – Aufbau – Ausgestaltung , Brünn 1924.
2250 Das volksbildnerische Engagement von Iltis reicht aber weiter zurück. So hatte er bereits 1911 an der
Wiener Volkshochschule „Volksheim Ottakring“ gemeinsam mit Dr. F. Oppenheim in der „Naturhisto-
rischen Fachgruppe“ eine „Exkursion in die Mährische Schweiz“ organisiert. 1928 / 29 folgte , auf Ein-
ladung des Schönberg-Schülers Paul Amadeus Pisk und Josef Luitpold Stern , ein weiterer Vortrag von
Iltis zu „Der Mährische Karst und der Ursprung des Menschengeschlechts“; während seines Aufent-
haltes in Wien referierte Iltis als „Leiter der Brünner Volkshochschule“ auch innerhalb der sozialdemo-
kratischen Bildungs organisationen. Siehe : Österreichisches Volks hoch schularchiv , Wien. Datenbank
„Theseus“.
2251 Vgl. Hugo Iltis , Volkstümliche Rassenkunde (= Buchbeigabe der „Urania“ – kulturpolitische Monats-
hefte über Natur und Gesellschaft , 1929 / 30 ), Jena 1930 ; Hugo Iltis , Der Mythos von Blut und Rasse ,
Wien [ R. Harand ] 1936.
2252 Am 23. April 1938 schrieb Albert Einstein an Franz Boas , der an der Columbia University in New York
lehrte und gemeinsam mit L. C. Dunn im „Emergency Committee for Displaced Persons“ aktiv war , in
Bezug auf Iltis : „In dieser Zeit allgemeiner Bedrängnis , in der alle einflußreichen Menschen so sehr mit
Briefen und Hilferufen überschwemmt werden , fällt es mir doppelt schwer , Sie mit Angelegenheiten
eines Einzelnen zu belästigen. In dem Fall des Professor Iltis in Brünn muss ich eine Ausnahme machen.
Professor Iltis ist Biologe , wie Sie aus dem beiliegenden Publikations-Verzeichnis sehen. Er ist dadurch
‚politisch belastet‘ , dass er eine kleine Kampf schrift gegen den Schwindel der deutschen Rassen-Mystik
hat erscheinen lassen , und die gegen wärtige Situation hat es auch schon mit sich gebracht , dass er seines
Lebens in der Czecho slowakei nicht mehr sicher ist. Ich glaube , dass es unsere Pflicht ist , unser Mög-
lichstes zu tun , diesen Mann zu retten , solange es noch Zeit ist. [ … ] Auch wenn Sie nichts direkt sollten
unter nehmen können , wäre ich Ihnen für Rat dankbar , da ich an der Sicherung dieses mir persönlich
nicht bekannten Mannes sehr interessiert bin.“ American Philosophical Society ( APS ), Philadelphia ,
Franz Boas Papers ( E-G ), 1862–1942. Mss.B.B61.inventory05
Siehe : http://www.amphilsoc.org/exhibits/treasures/einstein.htm [ Zugriff 27. 8. 2011 ]
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741