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5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg
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sellschaftlichen Demokratisierungsprozess. Die bloße Tatsache , dass die universitären Fa-
kultäten nun mehrheitlich „non-Nazi“ seien , wäre , so Schorske , für sich alleine genommen
noch keine hinreichende Voraus setzung für die zentrale Aufgabe , der akademischen Jugend
künftig die Werte eines offenen und demokratischen Gemein
wesens zu vermitteln.2261 An-
ders als Iltis ver mochte Schorske 1947 bereits die bisher angelaufene Reorientierung der
deutschen Universi täten – deren Wiederöffnung seiner Meinung nach viel zu schnell er-
folgt war
– zu beurteilen , und kam dabei , angesichts der unzureichenden Entnazifizierung ,
des rasch etablierten ‚unpolitischen Spezialistentums‘ und der dominierenden reaktionären
Grund haltung an den Uni versitäten , zu einem ernüchternden Ergebnis :
“Since most of the actively democratic academicians emigrated from the Third Reich , the newly
reopened universities have drawn heavily on men previously retired because of age , and on
those who , while non-Nazi , retained their posts under the Nazis by a reasonable degree of
conformity. Together these two groups compose the majority of the faculties. Progressive ideas
concerning the reorientation of the universities to meet the new situation have been all too
few.”2262
Ähnlich wie Iltis verwies auch Schorske in seiner Analyse der universitären Real situation
auf den entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den histo risch zurückrei-
chenden , reaktionär-antidemokratischen Tendenzen deutscher Wissen schaftsorganisation
und der späteren , vergleichsweise leicht zu erreichenden Instru
men tali sierung durch den
Nationalsozialismus – ein kausaler Zusammenhang , der freilich einer besonders verant-
wortungsvollen Reorientierungs-Politik bedurft hätte , die weit über nur formale und
oberflächlich durchgeführte Entnazifizierungs maßnahmen hätte hinaus gehen müssen ,
um
– wie Carl Zuckmayer es formulierte
– die „Köpfe und Herzen“2263 der nachfolgenden
Generation zu erreichen :
2261 Carl E. Schorske [ mit einem Vorwort von Allen W. Dulles ] , The Problem of Germany. Part II : Social
and Cultural Aspects of the German Problem. In : Hoyt Price / Carl. E. Schorske ( Eds. ), The Problem
of Germany (= Studies in American Foreign Relations. Hrsg. v. Percy W. Bidell , No. 5 ), New York 1947 ,
130.
2262 Ebd., 128.
2263 So meinte Zuckmayer in einem ursprünglich für das CAD im War Department formulierten Lage-
bericht : „Wir [ d. i. die US-Besatzungsmacht , d. Verf. ] erreichen die Menschen nicht. Wir finden keinen
Weg in ihre Köpfe und Herzen. Wir beeinflussen die Schüler und Universitäts studenten nicht wirklich
[ … ] was bisher getan und versucht worden ist , ist zu wenig , zu theo retisch , zu akademisch. Es berührt
Körper und Seele der deutschen Jugend nicht.“ Zit. nach : Carl Zuck mayer , Zusammenfassender Be-
richt über einen Auftrag in Deutschland und Österreich , Novem ber 1946 bis 31. März 1947. In : Carl
Zuckmayer , Deutschlandbericht für das Kriegsmini steri um der Vereinigten Staaten von Amerika. Hrsg.
v. Gunther Nickel et al., Frankfurt a. Main 2007 , 79.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741