Page - 539 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Image of the Page - 539 -
Text of the Page - 539 -
539
Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel
hinsichtlich der allgemeinen Einschätzung gegenüber der Notwendi
gkeit universitärer Re-
formen.
Der Fokus dieser investigativen Untersuchung war mit Bedacht auf die Situation der
Geistes wissenschaften ( „humanities“ ) gerichtet , wobei neben traditionell geistes wissen-
schaftlichen Disziplinen wie Philosophie , Philologie , Literatur wissenschaft und Ge-
schichte auch Jurisprudenz , Nationalökonomie sowie Naturwissenschaften mit in den
Blick genommen wurden. Diesen akademischen Disziplinen komme , so Anderson , beson-
ders großer Reformbedarf zu , zumal die politisch-gesellschaftlichen Schwierigkeiten der
jüngeren Vergangenheit nicht im Bereich von Technik und Formalwissenschaften ( „sci-
ence“ ) ihren Entstehungsgrund gehabt hätten , sondern vielmehr in jenen akademischen
Fächern , wo mitunter auch individuelle Wertein
stel lungen , gesellschaftliche Moralvorstel-
lungen und Stereotype
– wie explizit oder unterschwellig auch immer
– hineinreichen.2287
Obwohl die Ergebnisse für Deutschland und Österreich ähnlich ausfielen – hier wie
dort käme den Geisteswissenschaften aufgrund des Fehlens sozialwissenschaftlicher An-
sätze und der Dominanz gesellschaftsferner Historizität primär „dekorativer“ Charakter
zu , denn gesellschaftliche Funktion –, zeigten sich auch Unterschiede insbesondere hin-
sichtlich der finanziellen Ressourcen2288 sowie der Einfluss möglich keiten gegenüber der ,
die geistige Isolation tendenziell perpetuierenden Ministerial bürokratie :
“University administration remains so sketchy and amateur that the ministry in Vienna wields
far too much influence. The lack of initiative on the part of the professors in university reform
in curriculum , methods of teaching , research , and career training can hardly cause surprise.
The professors do not have adequate administrative stimulation for cooperative activity in
these matters and for exerting concerted pressure upon ministry. The few Dozenten [ sic ] in
each university thinking along modern lines have less influence than their colleagues in the
German universities.”2289
Und hinsichtlich der von Behörden und Regierungsstellen verursachten „economic handi-
caps“ im Bereich der wissenschaftlichern Lehre – eine Passage , der ein gewisser Aktuali-
2287 Eugene N. Anderson , The Humanities in the German and Austrian Universities , Washington D.C. 1950 ,
5. Für die Zurverfügungstellung einer Kopie des Berichtes danke ich an dieser Stelle meinem Kollegen
Mag. Robert Stumpf.
2288 Die großen Einkommensunterschiede zwischen Österreich und Deutschland – im Wesentlichen eine
Relation in der Größenordnung von 1 zu 2,6
– beziffert der Bericht folgendermaßen : „At the University
of Vienna , a Privatdozent receives about 150 schillings a month , or less ; in Heidelberg he may receive as
much as 300 marks or more , a remuneration which Vienna cannot afford. ( The schilling is worth about
one-third of a mark. ) A full professor receives about 2000 schillings a month in Vienna ; in Graz from
1200 to 1600 , in Innsbruck , about the same.“ Anderson , The Humanities in the German and Austrian
Universities , a. a. O., 82.
2289 Ebd., 81.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741