Page - 554 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg
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Als Geheimdienstfachmann , Experte für Psychologische Kriegsführung und glühender
Antikommunist , sprach Wisner ,2347 der zum selben Zeitpunkt die Leitung des halboffizi-
ellen „dirty tricks department“,2348 der Geheim dienstabteilung „Office of Policy Coordina-
tion“ ( OPC )2349 innerhalb der neu ge gründeten CIA übernahm , vergleichsweise deutlich
aus , was die unaus geprochene , asymmetrische Präambel aller künftig von amerikanischer
Seite finanzierten und administrierten Austausch programme darstellen sollte : primäres
Ziel war keineswegs mehr nur der gegenseitige Erfahrungsaustausch , sondern – wie indi-
rekt auch immer angelegt
– die nach haltige Reeducation beziehungsweise Reorien tierung
durch gezielte ‚positive‘ Beeinflussung über die Verbreitung amerikanischer Lebensweise ,
Produktion , Demokratie , Wissenschaft und Bildung sowie deren Bezüge zu individueller
Freiheit und wirtschaftlich-technischer Effizienz.
Darüber hinaus ließ Wisner durchblicken , dass das State Department die Übernahme
der Agenden im Hinblick auf die eigenen Kapazitäten nicht nur für machbar , sondern
auch für sachlich sinnvoll halten würde. Wie aus der Antwort von Unterstaatssekretär Wil-
2347 Frank Gardiner Wisner ( 1909–1965 ), Rechtsanwalt , Chef des Office of Strategic Services ( OSS ), 1947
von Staatssekretär Dean Acheson mit Unterstützung von George F. Kennan in das State Department
geholt , wurde 1948 Leiter des auf Sabotage , Propaganda , Guerrilla und ökonomische Kriegsführung
spezialisierten OPC und stieg in der Folge zu einem der einfluss reichsten Männer in der CIA auf , die er
mit Richard Helms zu einer finanzkräftigen Einrichtung mit großen Personalressourcen ausbaute. Vgl.
Sarah-Jane Corke , US Covert Operations and Cold War Strategy. Truman , Secret Warfare and the CIA ,
1945–53 , New York 2008 , 16 ff. Wisner wird in seinem Vorgehen wenig moralischer Skrupel attestiert –
so hatte er von Wiesbaden aus den ehemaligen „Fremde Heere Ost“ SS-General Reinhard Gehlen
für die Einrichtung der nachrichten dienstlichen „Organisation Gehlen im Dienste der USA engagiert ;
siehe dazu : John Prados , Safe for democracy. The secret wars of the CIA , Chicago 2006 , 42 f. bzw. 50 ;
ein CIA-Kollege meinte diesbezüglich : „Wisner brought in a whole load of fascists after the war , some
really nasty people.“ Zit. nach. Frances Stonor Saunders , The Cultural Cold War. The CIA and the World
of Arts and Letters , New York 2000 , 40. Tatsächlich spielte Wisner u. a. auch in der streng geheimen
„Operation Bloodstone“ 1948–1950 die zentrale Schlüsselrolle – eine Operation , die vom obersten mili-
tärischen US-Sicherheitsausschuss , dem „State , Army , Navy , Airforce Coordinating Committee“ ( SA-
NACC ) und dem Nationalen Sicherheitsrat der USA ( NSC ) durchgeführt wurde. Dieses Projekt zielte
darauf , die „Elite der Nazis und Kollaborateure , die Führer , die Geheimdienstspezialisten und die Wis-
senschaftler , die ihre Kenntnisse in den Dienst der Nazis gestellt hatten“ in die Vereinigten Staaten zu
bringen und diese für sogenannten „Sonderoperationen“ einzusetzen , d. h. für Aktivitäten hinter den
feindlichen Linien wie etwa „Subversion , Sabotage [ … ] Morde , Gefangennahme von bestimmten Per-
sonen und die Rettung von zur Landung gezwungenen Fliegern.“ Zit. nach : Christopher Simpson , Der
amerikanische Bumerang. NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA , New York
– Wien 1988 , 128 bzw. 130.
2348 Saunders , The Cultural Cold War , a. a. O., 40.
2349 Die geheimen Aktivitäten der OPC waren primär auf psychologische Kriegsführung im Kampf gegen
den Kommunis mus angelegt : sie bestanden u. a. in Spionage , Feind- und Freund-Propaganda , der Aus-
arbeitung von Evakuierungsplänen , von Sabotage und Gegensabotage , Guerrilla-Taktiken hinter dem
„Eisernen Vorhang“ sowie in ökonomischer Kriegsführung. Siehe : Alfred H. Paddock , Jr., US-Army
Special Warfare. Its Origins. Psychological and Unconventional Warfare , 1941–1952 , Lawrence / Kansas
2002 [ 1982 ] , 76.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741