Page - 559 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Image of the Page - 559 -
Text of the Page - 559 -
559
Elitenbildung über „Austauschprogramme“
Auf der politischen Großwetterkarte kam es im Sommer 1946 durch die anwachsende
Einflusssphärenpolitik der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten zu hegemonialen Inter-
essenkonflikten , die schließlich in einer gravierenden Trendwende der bisheri
gen
– ohnedies
schon längst brüchigen – alliierten Kooperation mündeten und dazu führte , dass die USA
ihre bisherige Politik des politischen Isolationismus zur Gänze aufgaben. Aus
gelöst wurde
die 180-Grad-Wende unter anderem dadurch , dass Bulgarien bei der Pariser Konferenz im
August 1946 Teile Nord-Griechenlands beanspruchte , die Sowjetunion auf eine Vormacht-
rolle in Bezug auf Libyen und Eritrea abzielte und auch die Kontrolle über die Dardanellen
nachverhandeln wollte. Der Abschuss zweier US-Transportmaschinen durch Jugos
lawien
–
auf ihrem Weg von Österreich nach Italien –, das außerdem Triest beanspruchte , sowie
massive sowjetische Truppen
bewegungen an der Südgrenze des Kaukasus , die Druck auf
die Türkei und den Iran ausüben sollten , führten schließlich zur Schubumkehr der US-
Außenpolitik gegenüber der Sowjet union beziehungs weise dem Kommunismus : dessen
militärisch-propagan dis tischer Einfluss auf die ‚freie Welt‘ sollte nun mit allen Mitteln
durch eine Politik der Stärke und Intervention eingedämmt ( „contained“ ) werden.2364
Nachdem von amerikanischer Seite bereits im September 1946 über Militärhilfe für
Griechenland und die Türkei nachgedacht worden war und sich Großbritannien im Febru-
ar 1947 schließlich nicht mehr imstande sah , die , nach Auflösung der griechischen kommu-
nistischen „Nationalen Befreiungsfront“ ( EAM ), von kom munistischen Guerillatruppen
in Thrakien ausgelösten Aufstände zu kontrollieren ,2365 gingen Präsident Harry S. Truman
und sein Beraterstab in die
– propagandistische
– Offensive. Nach einer Besprechung mit
seinem Kabinett sowie leitenden Kongress abgeordneten ließ Staatssekretär Dean Ache-
son einen Entwurf für eine Kongress-Rede Trumans aus
arbeiten. Der dritte Entwurf der
„new policy“, die unter dem Titel „Truman Doktrin“ bekannt wurde
– der ersten formellen
Präsidenten-Doktrin seit der Monroe-Doktrin von 1823
– wurde von George C. Marshall
genehmigt und formulierte den ‚Turning point‘ der US-Außenpolitik in Richtung eines
„war of nerves“, eines „political battle with ideological , strategic and economic elements“.2366
Am 12. März 1947
– 48 Stunden nach Beginn der Außenministerkonferenz in Moskau
–
hielt Präsident Truman vor beiden Häusern des US-Kongresses seine berühmt geworde-
ne Rede , die den weltanschaulich-ideologischen Überbau beziehungsweise die politische
Legiti mation für die nach folgende US-Containment- beziehungsweise „Roll-Back“-
Politik lieferte.
Im Kern der Truman-Doktrin findet sich zunächst ein Plädoyer für die Demokratie :
„No government is perfect [ … ]. One of the chief virtues of a demo cracy , however , is
2364 Vgl. Elizabeth Edward Spalding , The First Cold Warrior. Harry Truman , Containment , and the rema-
king of Liberal Internationalism , Lexington 2006 , 62.
2365 Vgl. Howard Jones , „A new Kind of War“. Americas Global Strategy and the Truman Doctrine in
Greece , New York 1989 , 24 f. bzw. 31.
2366 Spalding , The First Cold Warrior , a. a. O., 61.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741