Page - 575 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Image of the Page - 575 -
Text of the Page - 575 -
575
Die ideologische Überformung der US-Reorientierung
entsprechend zu schulenden Militär personal2440 –, auch Experten aus den Bereichen Psy-
chologie , Bildung , Anthro pologie , Religion , Information und Administration beigezogen
werden.
Generell ist davon auszugehen , dass es wohl weniger inhaltliche demokratiepolitische
Argumente waren , sondern vor allem die überdeutliche materielle Überlegenheit der USA ,
die – trotz aller nach wie vor grassierenden anti-amerikanischen Ressenti ments2441 –, die
größte positive Überzeugungskraft für den „American way of live“ entfaltete. Bereits in der
unmittelbaren , von enormen existenziellen und materiellen Nöten geprägten Nachkriegs-
zeit , boten die über 10. 000 in Österreich einmar
schie
renden jungen2442 und wohlgenährten
US-Soldaten2443 einen sichtbaren Ausdruck der materiellen Prosperität und Überlegen-
heit der USA. Abgesehen von der großen Anziehungs
kraft von Nahrungsmittelkonserven ,
Lucky Strikes , Coca-Cola , Schokolade , Kau gum mis oder Nylonstrümpfen für eine in jeder
Hinsicht ausge hungerte Bevölke rung ,2444 symbolisierten manche der Konsumgüter allein
schon durch ihre Verpackung die „beautiful new world of modernity“,2445 wie Reinhold
Wagnleitner in diesem Zusammenhang konstatiert :
2440 So wurden im Sommer 1947 im Einverständnis u. a. von General Clay erstmals 150 US-Militärs zu Schu-
lungszwecken im Rahmen der „Moral Rearmament Group“ in Caux-sur-Montreux in der Schweiz zu-
sammengezogen. Memorandum to Mr. James L. Sundquist , „Meeting with Mr. Wells with respect to
German reorientation problem“, a. a. O., 1.
2441 So manche österreichischen Politiker – wie beispielsweise der damalige Innenminister Oskar Helmer –
gewichteten die ‚kulturellen‘ Unterschiede innerhalb der US-Besatzungstruppen nach dem Muster tra-
ditioneller Stereotype : „Die Besetzung war auch im Westen hart zu ertragen , ganz besonders dort wo
Negertruppen [ sic ] ins Land kamen und viele Übergriffe der Besatzungs truppen erfolgten.“ Zitiert nach :
Oskar Helmer , 50 Jahre erlebte Geschichte , Wien 1957 , 320.
2442 Günter Bischof verweist in diesem Zusammenhang auch auf die quasi sexuelle Dimension der US-Be-
satzung : „Still after a long war , when all the young men had left in the Wehrmacht and many returned
as cripples or not at all , the sex starved ladies regarded the healthy , cocky young GIs as highly desirable
apparitions from another planet.“ Siehe : Günter Bischof , Two Sides of the Coin : The Americanization of
Austria and Austrian Anti-Americanism. In : Alexander Stephan ( Ed. ), The Americanization of Europe.
Culture , Diplomacy , and Anti-Americanism after 1945 , New York – Oxford 2006 , 154 ; zur „sexuel-
len“ Dimension der Besatzungszeit siehe weiters : Ingrid Bauer , „USA-Bräute“: Österreichisch-Ameri-
kanische Eheschließungen auf dem Salzburger Standesamt. In : Erich Marx ( Hrsg. ), Befreit und Besetzt.
Chronik der Stadt Salzburg 1945–1955 , Salzburg 1996 ; Dies., Die „Ami-Braut“ – Platzhalterin für
das Abgespaltene ? Zur ( DE- )Kon struktion eines Stereotyps der österreichischen Nachkriegsgeschichte ,
1945–1955. In : L’Homme : Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft , 7 , 1996 , Heft 1 , 107–121 ;
Barbara Stelzl-Marx , Freier und Befreier. Zum Beziehungsgeflecht zwischen sowjetischen Besatzungs-
soldaten und österreichischen Frauen. In : Stefan Karner / Barbara Stelzl-Marx ( Hrsg. ), Die Rote Armee
in Österreich. Sowjetische Besatzung , 1945–1955 , Graz 2005 , 421–448.
2443 Diese lag mit 4200 Tageskalorien fast dreimal höher als jene der Bevölkerung in den Besatzungs-
gebieten. Vgl. Ralph Willet , The Americanization of Germany , 1945–1949. 2. Aufl., London – New
York , 1992 , 3.
2444 Vgl. Bischof , Two Sides of the Coin , a. a. O., 154.
2445 Willet , The Americanization of Germany , a. a. O., 14.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741