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6. Endphase der Besatzung
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textbook production , etc. The time is now ripe for the infiltration of traditional American
concepts into classroom levels.”2546
Ungeachtet des persönlichen Interessensschwerpunktes von Williams auf Schulbildungs-
angelege nheiten , war die Education Division jedoch für das akademische Aus tausch-
programm verantwortlich. Williams selbst , wie auch sein Mitarbeiterstab , nahmen sich
dieser Aufgabe auch an , jedoch , wie schon zuvor , in gewohnt austrifizierter Art und Weise.
Alle Nominierungen für den Austausch von Führungskräften , Lehrern oder Wissen-
schaftern im Zuge des „Visiting Experts Programs“ mussten zunächst vom österreichi-
schen Unterrichtsministerium genehmigt werden , bevor die genannten Personen anschlie-
ßend von der US-Education Division beziehungsweise von den zuständigen Stellen in
Washington überprüft wurden. Das traditionell gute Einvernehmen zwischen den US-
Offizieren und den österreichischen Ministerialbeamten auf der Grund lage der bisheri-
gen Nichtein mischungs-Politik der US-Besatzungsmacht manifestierte sich zuweilen in
höchst selt samen und zuweilen geradezu barocken Verkehrs formen , die mit Supervision
oder Kontrolle ebenso wenig zu tun hatten wie mit US-Kulturaustausch oder der projek-
tierten Reorien tierung. So schrieb Samuel Williams im Juli 1948 an Ministerialrat Skrbens-
ky , dass er soeben erfahren habe , im vergangenen Jahr habe ein „gewisser Max Graf“ ohne
Wissen der Education Division an der Hochschule für Musik gelehrt , wofür sich Williams
geradezu devot bei Skrbensky entschuldigte. Tatsächlich handelte sich um den bedeuten-
den Musik wissenschafter und Musikkritiker Max Graf , der unter anderem bei Eduard
Hanslick und Anton Bruckner studiert hatte. Ab 1909 hatte Graf als Professor für Musik-
geschichte an der Wiener Musikakademie gewirkt und war in den Jahren 1928 bis 1936 als
musikalischer Leiter der Wiener Mai-Musik-Fest tätig gewesen , bevor er 1938 in die USA
emigrierte.2547 1947 war Graf bereits nach Österreich zurückgekehrt , wo er unter anderem
am Salzburger Mozarteum lehrte und für den Österreichischen Rundfunk arbeitete.2548
2546 NARA II , RG 260 , EDU-DIV , Box 1 , Folder 9 , Schreiben Samuel H. Williams , U. S. Civilian Chief ,
Education Division , to John W. Studebaker , US Commissioner of Education at the U. S. Office of Edu-
cation Department , 8. Oktober 1947 , 1.
2547 Vgl. Walter Pass / Gerhard Scheit / Wilhelm Svoboda , Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichi-
schen Musik , Wien 1995 , 272.
2548 Max Graf ( 1873–1958 ), Wiener Musikwissenschafter jüdischer Herkunft ; Vater des Opern regisseurs
Herbert Graf. Neben seiner Lehr tätigkeit an der „Akademie für Musik und darstellenden Kunst“ war
Graf Vortragender am Austro-American Institute in Wien sowie an Wiener Volkshochschulen und
war für eine Reihe an Zeitungen als Korrespondent tätig , wie bspw. für die Weimarer Zeitung , die
Frankfurter Zeitung oder das Neue Wiener Journal. In seiner Eigenschaft als Musikwissenschafter , Pu-
blizist und Übersetzer war Graf mit einer Vielzahl moderner Komponisten persönlich gut bekannt ,
wie etwa mit Claude Debussy , César Franck , Gustav Mahler , Hugo Wolff oder Arnold Schönberg.
Nach seiner Emigration in die USA lehrte Graf u. a. an der New School for Social Research in New
York und ab 1940 als Visiting Professor am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh. Siehe :
International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Vol. II / Part 1 : A-K ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741