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6. Endphase der Besatzung
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Unterstützt von Scott Elledge , einem jungen Englischlehrer vom Carleton College im
US-Bundesstaat Minnesota , dem Harvard-Literatur wissenschafter Francis O. Matthies-
sen und Richard Campbell , einem älteren Harvard-Kollegen ,2575 gelang es Heller , in Ko-
operation mit dem „Harvard College University Student Council“ und dem „International
Student Service“ in Genf , ein erstes Programm für einen sechswöchigen Kurs zusammen-
zustellen , der vom 15. Juli bis 31. August 1947 stattfand. Als Seminarort stellte die österrei-
chische Schau spielerin und Witwe Max Reinhardts , Helene Thimig , das in der US-Besat-
zungszone gelegene Rokoko-Schloss Leopoldskron zur Verfügung , das ihr verstorbener
Mann in den Jahren des Ersten Weltkriegs erworben hatte.2576 Finanzielle Unter stützung
erhielt Heller dabei sowohl vom österreichischen Unter richts ministerium als auch vom
Carnegie Endowment , wobei die USFA Education Division zunächst in administra tiver
Hinsicht behilflich war und über das US-Information Service ( USIS ) Bücher für die Ein-
richtung einer kleinen Biblio thek bereitstellte.2577
Ziel und Zweck des methodisch offenen , internationalen und auf intellektuelle Ausei-
nandersetzung mit amerikanischer Lebensart , Kultur und Politik ausgerichteten Seminars
war der Abbau von negativen Vorurteilen und Stereotypen über das gesellschaftliche , öko-
nomische und politische Amerika seitens der teilnehmenden StudentInnen , jungen Univer-
sitätslehrerInnen , KünstlerInnen , JournalistInnen und gewerkschaftlichen Führungs kräfte ,
die , nach Rückkehr in ihre Heimatländer
– ähnlich wie im Fall der US-Personenaustausch-
programme – als einflussreiche gesell schaft liche Multiplikatoren wirken sollten. Henry
Nash Smith – Englischprofessor an der University of Minnesota und selbst Vortragender
im Salzburg-Seminar
– fasste diese Intention 1949 folgendermaßen zusammen :
“But the major result of the seminar must be sought in the experiences of about one hundred
and seventy-five Europeans. This is not a large number , yet many of the participants are already
persons of influence in their own countries , and most of them will acquire greater influence
2575 Vgl. dazu die Ausführungen von Timothy W. Ryback , vormaliger Direktor bzw. Vizepräsident des „Salz-
burg Global Seminars“: Timothy W. Ryback , “The Salzburg Seminar- A Community of Fellows”. Zit.
nach : http://www.salzburgglobal.org/current/history-b.cfm?goto=community [ Zugriff 10. 1. 2013 ].
2576 Nach dem „Anschluss“ wurde Schloss Leopoldskron sowie sämtlicher Besitz Max Reinhardts von der Ge-
stapo als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ beschlagnahmt bzw. von der Landesverwaltung „arisiert“.
Das Schloss fungierte daraufhin kurzzeitig als NS-Parteischule bevor Hermann Göring dieses sowie das
zirka 50 Hektar große Anwesen an Prinzessin Stephanie von Hohenlohe mit dem Auftrag übergab , ein
Gästehaus für prominente Festspielgäste einzurichten. Nachdem Stephanie von Hohenlohe bald darauf
selbst in Ungnade fiel und im Frühjahr 1939 nach England emigrierte , wandelte der damalige Salzburger
Gauleiter Friedrich Rainer Schloss Leopoldskron kurzerhand in ein Gästehaus für NS-Prominenz um.
Nach Kriegsende wurde der Besitz nach eingebrachtem Rückstellungsantrag Helene Thimig als Nachlass-
verwalterin restituiert. Vgl. dazu Johannes Hofinger , Max Reinhardts Schloss Leopoldskron : Beutegut der
Nationalsozialisten. In : David. Jüdische Kulturzeitschrift , 17. Jg., April 2005 , Heft 64 , 3 ff. ; weiters : Ders.,
Die Akte Leopoldskron. Max Reinhardt – Das Schloss – Arisierung & Restitution , Salzburg 2005.
2577 Schmidt , Civil Empire by Co-optation , a. a. O., 317 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741