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‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung
Bewerbungs schreiben Hugo Portischs
– für den freilich nur Ersteres zutrifft
–, der bereits
vor seiner Amerikareise zu Protokoll gab , dass es in der Wiener Tageszeitung zu seinen
„Hauptaufgaben gehörte [ … ] , die kom munis tischen , im weiteren Sinne die marxistischen
und die nazistischen Lehren zu bekämpfen [ … ] und [ sich ] für die bedingungslose [ sic ]
Zusammenarbeit mit dem Westen einzusetzen.“2722
Inwieweit die akademischen US-Austauschprogramme , von einem möglichen persön-
lichen Vorteil für die jeweilige Karriere der Teilnehmenden abgesehen , dazu beigetragen
haben , dass sich über die folgenden Jahrzehnte Veränderungen und Öffnungsprozesse in der
österreichi
schen Wissenschafts
land
schaft ergeben haben , lässt sich schwer abschätzen. Dass
sich bereits in den 1950er-Jahren , wie es Thomas König als „unbestritten“ ansieht , eine Trans-
formation „hin zur Einbettung und Lokalisierung sozialwissenschaftlicher Praktiken ereig-
net hat“,2723 ist nicht nur aufgrund der bereits dargestellten restaurativen Tendenzen an den
österreichischen Universitäten zu bezweifeln , sondern auch aufgrund der Tatsache , dass sich
unter den österreichischen Teilnehmenden des Fulbright-Programmes der Jahre 1951–1961
insgesamt nur 16 Geistes- beziehungsweise Kulturwissen schafterInnen befanden , wovon nur
eine
– nämlich Hedwig Hönigschmied
– der Fachdisziplin „Soziolo
gie“ zugeordnet war.2724
Die Vereinigten Staaten zählen heute , wie Christian Fleck in einem Aufsatz zur ame-
rikanischen Wissen schaftskultur verdeutlicht hat , zweifellos zu den weltweit führen den
Wissenschaftsnationen ; eine Entwicklung , die spätestens in der Zwischen kriegszeit ein-
setzte und sich nach 1945 massiv beschleunigt hat.2725 Die wissenschaftspolitischen und
wissenschaftsorganisatorischen Entwicklungen innerhalb der stark auf Kooperation und
Effizienz hin ausgerichteten amerikanischen Wissenschaftslandschaft haben zweifellos
weltweit zu Neuerungen und Innovationen geführt , die mittlerweile auch an österreichi-
schen Universitäten längst zum Standard zählen
– Finanzierungsmodi und technisch-ma-
teriale Ressourcen ausgenommen.
Dessen ungeachtet blieben sowohl die universitäre Wissenschaftskultur als auch die
Binnenstruktur der österreichischen Hochschulen ( samt autonomer Dienstposten-
Zit. nach : Headquaters United States Forces in Austria. Information Service Branch , Survey-Section ,
Ansichten über den Nationalsozialismus. Bericht No. 20 , Wien , 13. Jänner 1948 , NARA II , RG 407 ,
Box 1426. Administration Services Division. Operations Branch Foreign ( Occupied ) Area Reports
1945–54. Austrian Reports – Provincial Press Review to Public Opinions.
2722 Wagnleitner , Coca-Colonization , a. a. O., 124.
2723 König , Das Fulbright Programm in Wien , a. a. O., 309.
2724 Vgl. ebd., 306 ff.
2725 Als einen zentralen Parameter führt Fleck an , dass die USA nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Ver-
leihung der Nobelpreise mit großem Abstand zu führen begannen – so gingen 50,4 % aller Nobelpreise
zwischen 1941–1980 an amerikanische Wissenschafter – und dass es darüber hinaus „zu einer Konzen-
tration der Elite des wissenschaftlichen Personals in den USA“ gekommen ist.“ Christian Fleck , Attrak-
tion und Innovation. Über einige Gründe für den Erfolg der amerikanischen Wissen schaftskultur , Graz
o. J., 3 [ Kopie des unveröffentl. Manuskriptes im Besitz des Verfassers ].
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741