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Die bürgerliche Revolution von 1848 59
Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte
staatsbürgerliche Stellung der Juden
1789, 1848, 1917 : die Daten der großen europäischen Revolutionen, spielen in der
Geschichte der Emanzipation der Juden eine bedeutende Rolle – im Falle der »bür-
gerlichen Revolution« von 1848 eine durchaus ambivalente. War das Jahr 1848 zu-
mindest in der ersten Phase von meist antikapitalistisch motivierten pogromartigen
Ausschreitungen gegen Juden geprägt, so ist doch unübersehbar, dass erstmals Juden
in großer Zahl als politisch Handelnde und, in Einzelfällen, als herausragende Ak-
teure der Revolutionsbewegung auftraten.185 Benjamin Kewall, ein jüdischer Haus-
lehrer und Journalist, beschrieb diese Ambivalenz in seinem die Revolutionsjahre
1848/49 begleitenden Tagebuch : »Ich habe die Zeit der Auferstehung Österreichs
mit Freuden begrüßt, weil ich die Erlösung der Juden von schwerem Drucke hoffte,
wie bitter wurde ich jedoch enttäuscht ! Die entfesselten Leidenschaften suchten sich
oft gegen wehrlose Juden Luft zu machen, wie dies in Prag, Pressburg und anderswo
geschah.«186 An anderer Stelle berichtete er hoffnungsfroh von den Bürgern, »deren
Reich jetzt gekommen«187 sei und meinte damit auch die jungen Juden, die, wie er
selbst, die gesamte bürgerliche Bewegung mitgetragen hatten, ja in gewisser Weise
ihren Kern bildeten. In Wien waren dies vor allem jüdische Studenten und junge
Akademiker, die sich der revolutionären Bewegung anschlossen, allen voran die
Ärzte Adolph Fischhof und Joseph Goldmark. Fischhof, der junge Sekundararzt im
Allgemeinen Krankenhaus, hatte in seiner berühmten improvisierten Rede im Hof
des niederösterreichischen Landhauses, am 13. März 1848, als erster die Forderun-
gen der Revolution artikuliert. Juden befanden sich unter den Mitgliedern der »Aka-
demischen Legion« und der Nationalgarde (unter ihnen der Dichter und Journalist
Ludwig August Frankl), Juden waren unter den ersten Toten der Märzrevolution
genauso wie unter den standrechtlich Hingerichteten des Oktoberaufstandes.188
Da Glaubens- und Gewissensfreiheit wie auch Gleichheit vor dem Gesetz zu den
zentralen Programmpunkten der 48er-Bewegung gehörten, verführte dies manche
zu der Annahme, die Emanzipation der Juden würde sich mit der Durchsetzung die-
185 Reinhard Rürup : Der Fortschritt und seine Grenzen. Die Revolution von 1848 und die europäi-
schen Juden, in : Dieter Dowe et al (Hg.) : Europa 1848. Revolution und Reform (= Politik- und
Gesellschaftsgeschichte Bd. 48) (Bonn 1998), S. 985–1005, hier : S. 997. Siehe dazu auch : Ernst
Wangermann : 1848 und die Emanzipation der Juden im Habsburgerreich, in : Chilufim – Zeit-
schrift für jüdische Kulturgeschichte (1/2006), S. 59–85.
186 Wolfgang Gasser, Erlebte Revolution 1848/49. Das Wiener Tagebuch des jüdischen Journalisten
Benjamin Kewall (Wien/München 2010), S. 169.
187 Ebenda, S. 169.
188 Zu den Toten der Märztage gehörten der Technikstudent Karl Heinrich Spitzer und der Weberge-
selle Bernhard Herschmann, hingerichtet wurde der jüdische Journalist Hermann Jellinek.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Subtitle
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Author
- Hannelore Burger
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271