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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Page - 14 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus

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1 Frank Stern · Barbara Eichinger Steven Bell Aber diese Logik des Nationalstaates war eigentlich gar nicht im Sinne der alther- gebrachten österreichischen Tradition, die immer die Logik von „sowohl als auch“ zu vertreten versucht hatte. Die Begrüßung oder wenigstens die Akzeptanz des „An- schlusses“ seitens der österreichischen Bevölkerung im Jahr 1938 war gleichzeitig die Ablehnung nicht nur eines selbstständigen österreichischen Kleinstaates, sondern im Prinzip eine Absage an Österreich, ein Absehen vom Wesen Österreichs. Die Juden Österreichs waren nur ein Teil, wenn auch ein zentraler Teil, einer gan- zen zentraleuropäischen bzw. mitteleuropäischen und auch österreichischen Lebens- welt, die supranational, transnational, multinational und auch anational war – das heißt alles andere als ein einfacher Nationalstaat. Diese österreichische Komplexität und Vielfältigkeit hat ihre alten und zähen Wurzeln im Heiligen Römischen Reich, im Hause Habsburg und dessen Monarchie und der teils daraus resultierenden eth- nischen und sprachlichen und daher „nationalen“ Vielfalt bzw. „Polyvalenz“ 0 Zen- traleuropas. Das „Dazwischendasein“ dieser Lebenswelt war eines, das unabhängig von parallelen Phänomenen unter den zentraleuropäischen Juden gewachsen ist. Diese österreichische und die jüdische Erfahrung haben sich im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert nebeneinander und manchmal miteinander, beinah „durcheinander“, entwickelt. Dieses alles andere als nationale Erbe des alten Öster- reich und die besondere Rolle, die die Juden hätten spielen können, hatten wenige bereits im späten neunzehnten Jahrhundert erkannt, wie zum Beispiel Rabbi Josef Samuel Bloch. Natürlich verstand man damals nicht die immense Bedeutung die- ser Erfahrung. Über die Jahrhunderte versuchten die meisten Juden ihr Schicksal zu meiden oder ihm zu entfliehen. Aus heutiger Perspektive aber behaupte ich, dass die Juden Österreichs die eigentlichen Österreicher gewesen sind, ob sie das wollten oder nicht. Das Vermächtnis dieser supra-multi-nationalen österreichischen Tradition hätte der liberale Pluralismus sein sollen, der das Achten der Unterschiede als zentrales Prinzip innehat. Im Westen gab es diesen liberalen Pluralismus. Im Nachkriegsöster- reich aber ging man fast in die Gegenrichtung. Man konstruierte eine „echte“ Klein- staatnation mit ihrer eigenen gekünstelten, volkskulturellen, fast ethnischen Identi- tät. Obwohl diese Kleinstaatnation viel „netter“, „gemäßigter“ und „bescheidener“ schien, galt es auch hier Differenzen und Unterschiede zu schlichten, zu verharm- losen und sogar abzuschaffen. Es war eine Nation „unter uns“, die keine Ruhestö- rer und „Nestbeschmutzer“ zu dulden verstand, die um jeden Preis die „Gemütlich- 0 In diesem Zusammenhang verwendete Moritz Csaky den Begriff der „Polyvalenz“ in einem mündlichen Vortrag in Wien. Siehe Ian Reifowitz, Imagining an Austrian Nation, Boulder Co. 2003.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Subtitle
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Author
Frank Stern
Editor
Barabara Eichinger
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
558
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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