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„Hinaus mit den Juden !“
und Bettauers „fiktivem“ Bundeskanzler Dr. Karl Schwertfeger alle Ehre : „All das,
was an dem Verhalten der jüdischen Flüchtlinge zur Kritik herausfordert, sind nicht
eigentümliche, nur dem jüdischen Flüchtling anhaftende Charaktereigenschaften,
sondern der ungeschminktere und brutalere Ausdruck des jüdischen Typus. Der eine
ist ein Ehrenmann in schmierigem Kaftan und schmutzigen Stiefeln, der andere in
Frack und Lackschuhen. Eine der charakteristischsten Eigentümlichkeiten des Juden-
tums ist sein maßloses Herrschaftsgelüste. […] Wie ehedem, so hält auch heute das
Judentum die ganze Finanz- und Kreditwirtschaft in seinen Händen und hat den
größten Teil der Presse in seinem Solde. In der Staatsregierung merkt man gleichfalls
auf Schritt und Tritt die zunehmende Verjudung. Es ist keine Phrase, sondern nur
ein Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse, wenn ich den mahnenden Ruf erhebe :
Christliches, deutsches Volk, sieh dich vor, sonst wirst du aus deiner Sorglosigkeit
erwachen als Sklave im Judenstaate ! (Lebhafte Zustimmung.) Wir müssen vor allem
eine reinliche Scheidung zwischen Juden und Deutschen vornehmen, d.h. die Juden
müssen als eigene Nation anerkannt werden. […] Die Juden sollen nicht politisch
entrechtet, aber ihre politischen Rechte auf das ihnen zukommende Maß beschränkt
werden. An der Regierung sollen die Juden keinen Anteil haben ; zur Wahrung ihrer
Interessen könnte ein jüdisches Landsmannschaftsministerium geschaffen werden.“
Nach den Vorstellungen Kunschaks sollten die Juden ihr eigenes Schulwesen ha-
ben, aber an den deutschen Schulen würden sie das Lehramt nicht ausüben dürfen.
„An den höheren Lehranstalten sollen Juden als Lehrer und Hörer nur im Verhältnis
zu ihrer Volkszahl zugelassen werden. (Lebhafte Zustimmung.)“ Ein ruhiges Zusam-
menleben mit den Juden sollte möglich sein, so Kunschak, der seine „Forderungen“
an den Gesetzgeber in sechs Punkten zusammenfasste. Der erste Punkt ist auch des-
halb von Interesse, weil er fast wortidentisch im Parteiprogramm der jungen nsDaP
aus dem Jahr 1920 aufscheint : „Sofortige Abschiebung aller seit August 1914 ein-
gewanderten Juden ; insoweit zwingende Gründe diese Abschiebung verhindern, all-
gemeine Internierung in Flüchtlingslagern.“
Am 26. Oktober 1919 marschierten, so die Reichspost9 – der verlässliche Chronist
antisemitischer Regungen – auf dem Franz-Josefs-Kai „2.000 Antisemiten […], um
den Ostjuden zu bezeugen, daß die Erbitterung über ihre Anwesenheit im darbenden
Wien nicht nachgelassen hat“. Etwa ein halbes Jahr später – und etwa zwei Jahre vor
Erscheinen des Bettauer-Romans – konnte die Reichspost einen Sieg der eigenen, anti-
semitischen Art vermelden. Als „Tagesbericht“ erschien am 25. April 1920 „Das Wien
Reichspost, 10. Oktober 1919, S. 1–2 ; hier S. 2.
Ebd., Hervorhebung vom Verf.
Reichspost, 27. Oktober 1919, S. 3.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519