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Martin Bubers Weg zum Chassidismus 1
Buber den Chassidismus mit anderen mystischen Überlieferungen, besonders denen
der mittelalterlichen Kirche und verschiedener orientalischer Religionen, die bei der
Neo-Romantik hoch im Kurs standen, auf gleiche Stufe.“
So gehörte Buber zu jenem Kreis von Intellektuellen, die wie Hermann Struck,
Arnold Zweig oder Isidor Kaufmann in ihren Werken dazu beitrugen, das Ostjuden-
tum als einen Hort des „authentischen Judentums“ darzustellen. Auch bei seiner kurz
danach erschienenen Legende des Baalschem benutzte Buber die gleiche Arbeitsweise :
„Auch hier hatte ich […] zu übersetzen begonnen. Auch hier widerfuhr mir die Ent-
täuschung. Die vorgefundenen Geschichten waren zumeist roh und plump aufge-
zeichnet ; sie wurden in der Übertragung nicht geflügelter. So kam ich auch hier zum
eignen Erzählen und wachsender Selbständigkeit, aber je größer die Selbständigkeit
wurde, um so tiefer erlebte ich die Treue.“
Die berechtigte Kritik an Bubers Darstellung des Chassidismus, die bereits durch Rivka
Schatz-Uffenheimer und Gershom Scholem noch zu Bubers Lebzeiten erfolgt ist, sollte
jedoch nicht die kulturgeschichtliche Bedeutung von Bubers Arbeiten schmälern.
Als Karl-Erich Grözinger vor einigen Jahren die erste deutsche Übersetzung der he-
bräischen und jiddischen Fassung der „Schivche Ha-Bescht“ (Lobpreisungen des Ba’al
Schem Tov, die hebräische Version erschien Kopust 1814 und die kürzere jiddische
Version Korez 1815) vorlegte, schrieb er in der Einleitung : „Der Kenner von Martin
Bubers Erzählungen der Chassidim oder gar von Bubers Legende des Ba’al Schem
wird, wenn er die hier vorgelegten Geschichten liest, kaum glauben, dass Buber die-
selben Quellen […] für seine Sammlung benutzte [… ]. Der Vergleich der ursprüng-
lichen Erzählungen mit Bubers Auswahl, Übertragung, Kürzung und Neudeutung
lässt wie kaum sonst Bubers Interesse am Hasidismus und dessen Verflechtung mit
Bubers eigener Situation und philosophischer Entwicklung erkennen.“
Paul Mendes-Flohr, Nachwort zur Neuausgabe der „Geschichten des Rabbi Nachman“, Gütersloh 1999,
S. 149–150.
Buber, Mein Weg, S. 22.
Siehe : Klaus S. Davidowicz, Gershom Scholem und Martin Buber – Die Geschichte eines Mißverständnisses,
Neukirchen, Vluyn 1995 ; Karl-Erich Grözinger, „Gershom Scholems Darstellung des Hasidismus und
seine Auseinandersetzung mit Martin Buber“, FJB 12 (1984), S. 105–127 ; Karl-Erich Grözinger, „The
Buber-Scholem Controversy about hasidic Tale and Hasidism – Is there a solution ?“, in : Joseph Dan,
Peter Schäfer (eds.), Gershom Scholem‘s Major Trends in Jewish Mysticism 50 Years after, Tübingen 1993,
S. 327–336 ; Rivka Schatz-Uffenheimer, „Die Stellung des Menschen zu Gott und Welt in Bubers Darstel-
lung des Chassidismus“, in : Martin Buber, hg. von Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman, Stuttgart
1963, S. 275–302 ; Gershom Scholem, „Martin Bubers Deutung des Chassidismus“, in : Neue Zürcher
Zeitung 135 (19.5.1962) und 142 (26.5.1962), jetzt in : ders., Judaica 1, Frankfurt am Main 1963.
Die Geschichten vom Ba‘al Schem Tov (deutsch, jiddisch, hebräisch), hg. und übersetzt von Karl-Erich
Grözinger, 2 Bde., Wiesbaden 1997, S. XiV–XV.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519