Page - 190 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 0 Armin Eidherr
santerweise auf so etwas wie das „gesunde Volksempfinden“ : „Es ist jene Zeit noch
nicht sehr lange her, als unser Volk instinktiv fühlte, dass vom Westen – eigentlich ur-
sprünglich von Deutschland, der Wiege der Haskala und Assimilation – jener fremde
Satansgeist kommt, der nichts Gutes bringt, ein Feind des Friedens und der Idylle
ist, der Tradition und Ganzheit.“ Scharf wendet er sich etwa auch gegen die meist
aus dem „Geist der Haskala“ heraus entstandenen hebräischen und deutschen (auch
polnischen, russischen usf.) Schulen für jüdische Kinder.
Vergleicht man das mit Cynthia Ozicks Position, lassen sich, neben vor allem durch
historische Kontexte bedingten Unterschieden, zahlreiche Übereinstimmungen in der
Kritik an den zeitgenössischen jüdischen Gegebenheiten feststellen : Sie richtet sich in
„Towards a New Yiddish“ gegen einen „Götzendienst“, der in der jüdischen Assimi-
lation ebenso wie in moderner jüdischer Literatur seinen Ausdruck findet, wo einem
„aesthetic paganism“ anstatt tatsächlichen jüdischen Werten gehuldigt werde : „Jew-
ish memory can battle this idolatrous art form because being Jewish is part of one’s
covenatal and liturgical past. This liturgy includes not simply laws, but Jewish prayer
and Jewish aggadic (folk stories) parables filled with moral messages and meanings.
Ozick pleads with Jewish writers to leave the nebulous American art forms and use
their deep-rooted history and liturgy to create real masterworks.“ Vor diesem Hin-
tergrund ist der Satz „When a Jew becomes a secular person he is no longer a Jew“
zu verstehen : Er werde zu einem Neutrum, und im Hinblick auf die nichtjüdische
Kultur zu einem „envious ape“ [das ist genau im Sinne des ,parodje‘-Begriffs Silburgs
zu verstehen – siehe Fußnote 40 : Neben ,Parodie‘ meint er ,Nachäfferischkeit‘ !].
Dazu zählt sie Schriftsteller wie Heinrich Heine, Marcel Proust, Franz Kafka, Nor-
man Mailer, Allen Ginsberg, George Steiner oder Philip Roth – also Leute, die, wie
auch Silburgs „Gegner“, gemeinhin zum Teil als „Typische“ Vertreter einer „jüdischen
Kultur“ gelten, denen sie jedoch Götzendienerei im Allgemeinen und etwa universa-
listische Ansprüche oder jüdischen Antisemitismus im Speziellen vorwirft.
Silburg erachtet die „goleß-farnejnung“ , also „Galuth-Verneinung, Negierung
bzw. Ablehnung der Diaspora“ als besonders fatal. Er definiert sie folgendermaßen :
Ebd., Silburg sieht also in der Haskala den Ursprung aller Übel – auch in der Wirkung auf seine Zeit.
Ebd., S. 6.
Ozick, “Towards a New Yiddish”, in : dies., Art and Ardor, S. 151–177, S. 163.
Nomi Sturm, „Jewish Culture or Jewish Kitsch“, in : Notebook, Issue 2, Toronto 2006, S. 28–37, S. 30.
Ozick, “Towards a New Yiddish”, in : dies., Art and Ardor, S. 151–177, S. 169.
Zilburg, „Vos ikh … (b)“, S. 5. In diesem Zusammenhang wird Achad Haam übrigens, obwohl man
ihn für einen „Gegner“ erachten könnte, von Silburg positiv bewertet, da er sich produktiv zur „goleß-
farnejnung“ verhalte. (Auch bei Ozick gibt es in der Reihe der kritisierten Zeitgenossen eine „große Aus-
nahme“, Saul Bellow nämlich, wobei gleichfalls nicht ganz klar wird, weshalb er diesen Status zuerkannt
bekommt.)
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519