Page - 267 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Image of the Page - 267 -
Text of the Page - 267 -
„Being different where being different was definitely not good“
jüdischen Frauenanteil zu dieser Zeit beruhte. Antisemitische Übergriffe erfolgten
ab den Dreißigerjahren in konstanter Frequenz und machten auch vor weiblichen
Studierenden nicht halt, denen zuvor verbale und physische Ausfälligkeiten zumeist
erspart geblieben waren.
Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen zwischen Ost und West
Antisemitismus und geschlechtsspezifische Diskriminierungen verstärkten sich in den
Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende. In den autobiografischen Texten jüdischer
Frauen wird deutlich, dass diese jedoch vorwiegend in spezifischen Milieus wahr-
genommen wurden. Der universitäre Kontext erwies sich in diesem Zusammenhang
als paradigmatisch, da sowohl misogyne als auch antisemitische Tendenzen allgegen-
wärtig waren, wobei sich im Zuge der politischen Entwicklung der Antisemitismus ab
den späten Zwanzigerjahren als ausschlaggebender erwies. Jüdische Frauen, die sich
in zionistischen oder sozialistischen Bewegungen engagierten, tendierten hingegen
häufig dazu, geschlechtsspezifische Ausgrenzungen und beschränkte Wirkungsfelder
auszublenden, auch wenn diese im Gesamtkontext deutlich wurden. Dasselbe lässt
sich für antisemitische Tendenzen in der Arbeiterbewegung konstatieren. Frauen,
die sich in philanthropischen Organisationen betätigten, erfuhren durch die Einbin-
dung in das Wohlfahrtssystem der Kultusgemeinde Einschränkungen im Spielraum
ihres autonomen Handelns. Innerhalb der feministischen Bewegung führte die
Überbetonung der konfessionellen Neutralität dazu, dass vorhandene antisemitische
Untertöne letztendlich ignoriert wurden und jüdische Frauenaktivistinnen vor der
Anforderung standen, ihre ethnische Herkunft verbergen zu müssen.
Im Zusammenhang mit antisemitischen Diskriminierungen erwies sich in weiterer
Folge die familiäre Verortung zwischen Ost und West als konstitutiv. Jüdische Frauen, die
Bruce Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung bis zur Auslöschung,
Wien 1993, S. 132f., S. 142, S. 168f.
Siehe dazu u. a. die Lebenserinnerungen der Sozialistinnen Stella Klein-Löw und Käthe Leichter. Zur
Ambivalenz der Frauenrolle innerhalb der zionistischen Bewegung : Raggam-Blesch, Zwischen Ost und
West, S. 184f.
Käthe Leichter gab zum Beispiel in ihren Memoiren an, niemals innerhalb der Partei Antisemitismus
verspürt zu haben, obwohl einige Erlebnisse klar auf diesen Umstand hinweisen. Vergleiche dazu : Käthe
Leichter, Leben und Werk, S. 24. Gabriella Hauch, „Käthe Leichter – Jüdin, Sozialistin, Frauenforsche-
rin“, in : Metis, 3. Jg., Heft 1 1994, S. 80–85. Des Weiteren : Hilde Koplenig, Erinnerungen, Dokumen-
tationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien um 1970, S. 52.
Siehe dazu : Raggam-Blesch, Zwischen Ost und West, S. 172f.
Ebd., S. 178f.
back to the
book Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519